junge Welt, Freitag, 4. Oktober 1996, Nr. 232, Seite 4, inland
Drei Männer stehen um einen beigefarbenen Wartburg herum. Sie reden miteinander, während sie in eine Richtung starren: Dort brennt ein Haus lichterloh. Eine Flüchtlingsunterkunft wird zur Todesfalle für zehn Menschen. Die drei schauen zu. Doch wann genau spielt diese Szene am 18. Januar 1996 in Lübeck? Um 3.47 Uhr geraten die drei Männer aus Grevesmühlen in eine Polizeikontrolle - unmittelbar nachdem sie das Haus erreichten, wie sie selbst der Polizei zu Protokoll gaben.
Im Prozeß gegen den Hausbewohner Safwan Eid vor dem Lübecker Landgericht jedoch berichteten Augenzeugen am Mittwoch, die Grevesmühlener schon rund eine Viertelstunde früher, also gegen halb vier, am Brandort gesehen zu haben. Die Aussagen der beiden Arbeiter bringen das selbstgezimmerte Alibi der drei Männer, die nach der Brandnacht kurzzeitig als Tatverdächtige festgenommen worden waren, noch mehr zum Wackeln. Bei ihren polizeilichen Vernehmungen hatten sie behauptet, zwischen 3.19 Uhr und 3.45 Uhr in der Lübecker Innenstadt gewesen zu sein, um ihren Freund Dirk T. zu suchen. ZeugInnen dafür gibt es keine - sie wurden von niemandem beobachtet. Möglicherweise waren sie aber, wie sich am Mittwoch herausstellte, zur gleichen Zeit an anderer Stelle: vor dem brennenden Haus in der Lübecker Hafenstraße.
Die beiden Maschinenführer, die dies aussagten, arbeiteten in der Brandnacht auf dem Gelände der Firma Brüggen, das unmittelbar an die ehemalige Flüchtlingsunterkunft angrenzt. Durch Schreie seien sie auf das Feuer aufmerksam geworden, berichten die Zeugen. Daraufhin seien sie sofort aufs Nachbargrundstück gerannt. Beim Entdecken des Feuers seien sie zunächst zurückgelaufen, um die Feuerwehr zu verständigen, ehe sie ein zweites Mal zum Brandort und den BewohnerInnen zur Hilfe geeilt seien. Beide waren sich am Mittwoch sicher, daß ihnen der Wartburg der drei Männer schon beim ersten Verlassen ihres Firmengeländes aufgefallen sei. Damit korrigierten die beiden Arbeiter frühere Ausagen, nach denen sie das Fahrzeug erst entdeckt hätten, als sie sich zum zweiten Mal dem Haus genähert hätten. Das bezeichneten sie am Mittwoch als Irrtum: »Es war noch kein einziges Feuerwehr - oder Polizeiauto am Brandort. Das wäre mir auf jeden Fall aufgefallen.« Die Feuerwehr war erst nach 3.45 Uhr am Brandort eingetroffen - offensichtlich also nach den drei Grevesmühlenern.
Sichtlich unbehaglich wurde es Staatsanwalt Michael Böckenhauer, der in anderem Kontext einen der beiden Zeugen scharf anfuhr »dann haben Sie einmal falsch ausgesagt« und die Vernehmung schließlich mit der Frage abschloß, wieviel Geld der Zeuge für entsprechende Berichte in einem Fernsehinterview bekommen hätte.
Der ehemalige Bewohner Joao Bunga indes muß nicht mehr nur für das Herausfinden der Wahrheit, sondern zunehmend auch gegen seinen Rechtsanwalt kämpfen. Der vergangene Woche offen zutage getretene Konflikt zwischen dem Nebenkläger und dessen autonom handelndem Anwalt Ulrich Haage eskalierte am Mittwoch weiter, als Bunga mit einem neuen Verteidiger seines Vertrauens vor Gericht erschien. Haage sollte von Bunga entbunden werden. Er sei sich keiner Pflichtverletzung bewußt, so Haage vor Gericht. Bunga hingegen konnte gleich mehrere aufzählen: Der Anwalt habe ihn nicht über das informiert, was er vor Gericht unternommen habe. Insbesondere habe er ihm die Tragweite eines Befangenheitsantrages gegen den Brandexperten Ernst Achilles nicht erläutert.
Ob Haage tatsächlich entbunden wird, entscheidet das Gericht. Ankläger Böckenhauer konnte es sich jedoch nicht nehmen lassen, der Jugendkammer eine Warnung mit auf den Weg zu geben: »Die Nebenklage verfolgt einen bestimmten Sinn und Zweck. Ich bitte Sie, das bei Ihrer Entscheidung zu berücksichtigen«. Daraufhin mußte er sich von Rechtsanwältin Barbara Klawitter zurechtweisen lassen. Die Wahl des Anwaltes sei ein höchstpersönliches Recht des Mandanten, so die Verteidigerin. Dieser Belehrung bedurfte offenbar auch Haage, der sich von Bungas Wunschverteidiger Matthias Wagner fragen lassen mußte, ob er gegen den erklärten Willen seines Mandanten auf dem Verteidigersessel sitzenbleiben wolle. Die Antwort blieb er schuldig, auch im anschließenden Gespräch mit jW: »Machen Sie sich ein eigenes Bild.«
Elke Spanner, Lübeck