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junge Welt, Dienstag, 8. Oktober 1996, Nr. 235, Seite 6,inland

>> Was sitzt er noch hier?

> Lübecker Prozeß: Nebenklage-Anwalt Haage wechselt den Mandanten

Ein Anwalt beantragt etwas, ein anderer zieht den Antrag zurück. Daraufhin befragt der erste einen Zeugen, der zweite weist ihn darauf hin, daß er das nicht darf. So kann es kommen, wenn zwei Rechtsanwälte einen Mandanten vertreten. Dabei geht es um das Recht eines Flüchtlings aus Angola, Überlebender der Brandnacht von Lübeck, sich über einen Anwalt seines Vertrauens an der Suche nach dem Täter zu beteiligen. Wie selbstverständlich nahm Ulrich Haage am Montag im Lübecker Landgericht auf dem Verteidigersessel neben Joao Bunga Platz, nachdem das Gericht in der Vorwoche entschieden hatte, daß er das darf - auch gegen den Willen seines Mandanten, der im Prozeß gegen Safwan Eid als Nebenkläger auftritt. Bunga, der von Eids Unschuld überzeugt ist, hatte Haage das Mandat entzogen, nachdem dieser eigenmächtig versucht hatte, Befangenheit gegen den Brandexperten Ernst Achilles geltend zu machen. Joao Bunga zeigte sich am Montag entnervt von der Sturheit Haages. »Ich habe einen neuen Anwalt«, sagte er. »Was sitzt er noch hier?«

Die Frage brauchte nicht mehr beantwortet zu werden. Am Ende des Verhandlungstages legte Haage doch noch überraschend sein Mandat für Joao Bunga nieder und erklärte vor den erstaunten Prozeßbesuchern, daß er nunmehr ein Mandat für die ebenfalls als Nebenklägerin auftretende Familie El Omari übernehme. Damit hat jetzt Bunga nur noch einen Anwalt, Matthias Wagner, und statt dessen nun die Familie El Omari zwei - Ulrich Haage und den beigeordneten Anwalt Wolfgang Klausen.

Durch das Hickhack um die Nebenklage tritt die Aufklärung der Widersprüche um den Brandausbruch in dem Verfahren zuweilen in den Hintergrund. Am Montag versuchte das Landgericht weiterhin, Erkenntnisse über den Brandausbruchsort zu gewinnen. Ähnlich wie schon in der Vorwoche waren die Angaben der Zeugen dazu jedoch recht widersprüchlich. Rechtsanwältin Gabriele Heinecke betonte, daß die unterschiedlichen Aussagen der AugenzeugInnen dem Brandgutachten des schleswig-holsteinischen Landeskriminalamtes und des Bundeskriminalamtes widersprechen, nachdem das Feuer im ersten Stock ausgebrochen sein soll.

Wegen der Widersprüche der AugenzeugInnen, die nach Ausbruch des Feuers in der Hafenstraße eintrafen, werden die Beobachtungen der ehemaligen BewohnerInnen der Unterkunft immer relevanter. Die meisten Flüchtlinge sind jedoch nicht einmal als ZeugInnen geladen.

Ob das Gutachten des renommierten Brandsachverständigen Ernst Achilles eine Rolle spielen wird, ist weiter fraglich. Am Montag stellte Staatsanwalt Michael Böckenhauer, ebenso wie in der Vorwoche Haage und Klausen, einen Befangenheitsantrag. Achilles habe sich laut Böckenhauer frühzeitig auf den von der Verteidigung »favorisierten« Brandausbruchsort festgelegt. Deshalb sei er befangen, außerdem von seiner Kompetenz her sehr ungeeignet. Seine Entscheidung über die Anträge will das Gericht am kommenden Montag bekanntgeben.

Elke Spanner, Lübeck