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junge Welt, Donnerstag, 10. Oktober 1996, Nr. 237, Seite 6,inland

>> Eine »Powergroup« und Feuer im Vorbau

> Lübecker Brandprozeß: Verteidigerin Eids widerspricht Befangenheitsantrag gegen Brandschutzexperten

Erstmals nach vierwöchiger Verhandlungsdauer kam im Prozeß um den Brandanschlag auf das Lübecker Flüchtlingsheim die Rede auf die Opfer des Feuers. In der Nacht zum 18. Januar eingesetzte Feuerwehrleute schilderten am Mittwoch, wie sie einzelne Flüchtlinge aus der brennenden Unterkunft in der Hafenstraße gerettet hatten. Die Verteidigerin des Angeklagten Safwan Eid Barbara Klawitter sowie der Brandschutzexperte Ernst Achilles selbst sprachen sich im Anschluß der Zeugenvernehmung gegen einen Befangenheitsantrag gegen den Feuersachverständigen aus.

Zwar seien von außen keine Flammen zu sehen gewesen, berichtete einer der Brandbekämpfer. Im Inneren des hölzernen Vorbaus allerdings habe es total gebrannt. Der Feuerwehr-Azubi Stefan L. konnte dagegen an der Rückfront des Hauses die Verbreitung des Feuers beobachten. Im zweiten Stock, wo er mehrere Kinder zum Sprung in vorbereitete Sprungdecken bewegen wollte, habe es plötzlich eine sogenannte Durchzündung gegeben. Das Feuer sei schlagartig wild entflammt. »Dann habe ich nichts mehr von den Kindern gesehen«.

Der Feuerwehrmann Bernd L. sorgte für einige Verwirrung: Er, der zuvor in einer polizeilichen Vernehmung berichtet hatte, bei der Ankunft am Brandort habe die Eingangstür des hölzernen Vorbaus lichterloh gebrannt, konnte sich daran am Mittwoch nicht mehr erinnern. In dem Anbau, dort wo die Verteidigung den Ausbruch des Brandes vermutet und deshalb einen Anschlag von außen nicht ausschließt, wollte er nur Qualm gesehen haben. Schließlich löste sich die Verwirrung jedoch auf: Der Zeuge wurde offenbar von der Polizei im Januar nicht nach Details seiner Beobachtungen gefragt. Der von ihm am Mittwoch erwähnte weiße Qualm aus dem Vorbau lasse zudem auf eine brennende Quelle innerhalb des Gebäudeteils schließen.

Indes mehren sich die NebenklägerInnen und deren AnwältInnen von Prozeßtag zu Prozeßtag. Am Mittwoch stieg auch Kate Davidson als Nebenklägerin in das Verfahren ein. Bisher war die ehemalige Heimbewohnerin nicht zugelassen worden, weil sie gemeinsam mit anderen Überlebenden in ihrem Antrag erklärt hatte, sie halte Eid für unschuldig.

Für die Anwältinnen Safwan Eids, Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter, hatte der Verhandlungstag bedrohlich begonnen. Sie fanden auf ihrer Bank einen Drohbrief der »Powergroup für deutsche Gerechtigkeit«, in dem sie als »Schmiervotzen« beschimpft wurden, die »die Asylanten« bei sich aufnehmen sollten, damit »sie euch ordentlich durchficken«. Auch Ernst Achilles hatte sich schon von jener »Powergroup« bedrohen lassen müssen.

Über Befangenheitsanträge gegen den Brandschutzspezialisten wird die Jugendkammer am heutigen Donnerstag beraten. Nach den Nebenklagevertretern Ulrich Haage und Wolfgang Clausen hatte vergangenen Montag auch die Staatsanwaltschaft gefordert, den Frankfurter Experten als Gutachter vom Verfahren auszuschließen. Achilles, der im Gegensatz zu den Anklägern den Brandausbruchsort im hölzernen Vorbau des Hauses ortet, wurde auf Initiative der Verteidigung Eids in das Verfahren einbezogen. Er habe sich »frühzeitig« auf den »favorisierten Ausgangspunkt« festgelegt, meint die Staatsanwaltschaft, um zuvor gemachte »Ferndiagnosen« zu bestätigen. In seinem jetzt vor Gericht vorgelegten Gutachten scheine Achilles lediglich das Ziel zu haben, »den Angeklagten zu entlasten«.

Rechtsanwältin Klawitter wies diese Vorwürfe am Mittwoch zurück. Der Befangenheitsantrag basiere hauptsächlich auf Medienberichten. Zudem sei es das Recht sowohl der Verteidigung als auch der Staatsanwaltschaft, sich bei entsprechenden Gutachtern zu beraten. Von Parteilichkeit, wie sie die Ankläger Achilles vorwerfen, könne nicht die Rede sein, da der Sachverständige weder von der Verteidigung noch von Safwan Eid Geld für seine Arbeit erhalten habe. Besonders beachtenswert scheint die Argumentation der Staatsanwaltschaft, Achilles habe im neuen Gutachten lediglich seine bisherigen Annahmen bestätigt. Schließlich, so Klawitter, sei auch das Landeskriminalamt in drei Untersuchungen zum selben Schluß gekommen - zu dem Ergebnis, das Feuer sei im ersten Stock ausgebrochen, ein Anschlag von außen demnach ausgeschlossen.

Elke Spanner, Lübeck