junge Welt, Montag, 21. Oktober 1996, Nr. 246, seite 3,ansichten
Eid und Anwältin Heinecke vor Beginn der Verhandlung im Lübecker Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft Eid vor, das Feuer in dem Asylbewerberheim gelegt zu haben, bei dem zehn Menschen getötet und 38 verletzt wurden.
Mario Angelelli ist Rechtsanwalt aus Rom und Mitglied der Unabhängigen Internationalen Kommission
F: Am heutigen Montag wird der Prozeß gegen Eid fortgesetzt. Welchen Eindruck von diesem Verfahren haben Sie als Beobachter der Gerichtsverhandlungen bislang erhalten?
Der Prozeß gegen Eid ist in vollem Gange, obwohl er gar nicht erst hätte eröffnet werden dürfen. Es gibt keinerlei Beweise für eine Schuld des Angeklagten. Daher muß der Prozeß nicht nur beendet, sondern Eid in vollem Umfang freigesprochen werden. Das wäre der Anspruch eines demokratischen Rechtsstaates. Die Verteidigung kann hoffentlich durchsetzen, daß der Prozeß in diesem Sinne eine Wende erfährt, denn es müssen vor allem endlich gründliche Untersuchungen geführt werden, mit deren Hilfe dann die wahren Ursachen für den Brand ermittelt werden können.
F: Die Rechtsanwältinnen Eids, Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter, haben am Mittwoch mit einem Antrag zu verhindern versucht, daß zwei der Heimbewohner aus der Bundesrepublik abgeschoben werden. Beide hatten Anfang Oktober vom Ordnungsamt Lübeck eine Ausweisungsverfügung erhalten, wonach ihnen die Abschiebung droht. Was werden Sie als innerhalb der Kommission Zuständiger für das Bleiberecht der Überlebenden der Lübecker Brandnacht unternehmen, um die beiden vor der drohenden Abschiebung zu bewahren?
Die Aufenthaltsfrage ist in erster Linie eine humanitäre Frage. Allein, daß die Flüchtlinge, eine solche Tragödie haben erleben müssen, gibt ihnen das Recht, hierzubleiben. Aber auch im juristischen und öffentlichen Interesse einer Wahrheitsfindung, sollte jeder überlebende ehemalige Bewohner des Asylheimes den Aufenthaltsstatus erhalten. Alle in der Brandnacht Anwesenden müßten auch vor Gericht gehört werden. Unser Anliegen, das Bleiberecht für alle durchzusetzen, haben die zuständigen Mitglieder unseres Komitees deshalb dem Bürgermeister von Lübeck, Michael Bouteiller, vorgetragen.
F: Der Bürgermeister unterstützt Ihre Forderung nach einem Bleiberecht. Der für eine Abschiebung zuständige Innenminister von Schleswig-Holstein, Ekkehard Wienholtz, hingegen behauptet, ein Aufenthaltsgenehmigung könne nach geltendem Recht nicht bewilligt werden. Also müßten Sie doch verstärkt an die Wienholtz-Behörde herantreten und dort versuchen, das Bleiberecht durchzusetzen?
Das ist sowohl eine Frage der Zuständigkeit als auch der Gewaltenteilung. Der Bürgermeister besitzt durchaus die Kompetenz, für die Betroffenen positiven Einfluß auf die Aufenthaltsgenehmigungen auszuüben. Wir werden mit Hilfe von Gabriele Heinecke ein juristisches Gutachten erstellen, das auch dem Bürgermeister beweisen wird, daß er nach rechtsstaatlichen Auffassungen entsprechende Entscheidungen treffen kann.
F: Es ist Eile geboten, denn der Aufenthalt in Deutschland ist befristet, etliche Duldungsbescheide laufen Anfang November aus.
Bürgermeister Bouteiller hat zugesagt, daß er sich auf jeden Fall persönlich dafür einsetzen wird, daß ein Auslaufen der Duldungen blockiert wird. Das hat ebenfalls der Präsident des Landgerichtes zugesagt.
F: Ein Nigerianer wurde bereits vor dem Verfahren gegen Eid abgeschoben.
Darüber war die Kommission sehr unglücklich. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, daß dieser Nigerianer wieder zurückkehren kann und setzen uns dafür auch verstärkt ein. Wir haben diverse dafür zuständige Stellen angeschrieben, bislang jedoch noch keine Antworten erhalten. Wir wissen daher bis heute nicht, ob seine Wiedereinreise erlaubt wird.
F: Wofür plädieren Sie in Ihren Gesprächen mit den zuständigen Stellen: Für ein Bleiberecht während der Dauer des Prozesses, damit die Flüchtlinge als ZeugInnen aussagen können, oder für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland?
Wir versuchen, eine Daueraufenthaltsgenehmigung für alle aus humanitären Gründen durchzusetzen.
F: Nach deutschem Recht gibt es keinen Zeugenschutz vor Abschiebung. In anderen Ländern hingegen ist das längst üblich und per Gesetz verankert. Welche Regelungen gibt es dazu in Italien?
Die juristische Situation in Italien unterscheidet sich sehr von der in Deutschland. In Italien ist man da schon etwas weiter: Gesetz ist, daß - soweit man keine andere Aufenthaltserlaubnis für die Zeugen bekommen kann - es für jeden Zeugen und in jedem Fall einen speziellen Aufenthaltsstatus bis zur Wahrheitsfindung gibt.
F: Wie ist das öffentliche Interesse für den Prozeß in Italien, und wie gehen die italienischen Medien mit diesem Verfahren um?
Als Kommissionsmitglieder verfolgen wir den Prozeß über die Berichte, die uns zugeschickt werden. Über dieses hinaus gibt es natürlich eine intensive Kommunikation innerhalb der Internationalen Kommission. Die Massenmedien in Italien reagieren bislang eher sehr sporadisch, aber wir versuchen, auch in Italien für den Prozeß mehr öffentliches Interesse zu wecken.
Interview: Elke Spanner, Übersetzung: Mario Prudentino