junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 2./3. November 1996, Nr. 256, Wochenend-Beilage, Seite 2
M ü l l a b f u h r
Wer mit Fakten nicht dienen kann, der muß, das lehrt die deutsche Justiz, mit Kronzeugen aufwarten. Das dachte sich auch jener Journalist des stern, der in der neuesten Ausgabe des Hamburger Magazins den Ereignissen um den Lübecker Brandprozeß einen Artikel widmet.
Doch als habe ihm der Gegenstand seines Berichtes nicht genügend Tips zum Gebrauch derartiger Zeugen geliefert, bemüht der Autor wahrlich schlechte Helfershelfer: »Unbefangene Prozeßbeobachter - von der taz über den Spiegel bis zur FAZ« bewiesen, daß die Vorwürfe gegen Safwan Eid im Verlauf des Verfahrens an Plausibilität gewinnen würden. Was folgt, sind die üblichen Halbwahrheiten bis Lügen, mit denen die zu Rate gezogenen Berichterstatter seit über neun Monaten versuchen, die Ermittlungen der Ankläger zugunsten faschistischer Täter mundgerecht der Öffentlichkeit zu servieren. So ließen die bislang gemachten Aussagen im Prozeß kaum noch Zweifel daran zu, weiß der stern via Kronzeugen, daß das Feuer im ersten Geschoß des Flüchtlingsheimes ausgebrochen sei - ergo wird ein rechtsradikaler Hintergrund ausgeschlossen. Wenn man den bislang zu dieser Frage gemachten widersprüchlichen Angaben vor der Jugendkammer überhaupt Wert beimessen will, spräche wesentlich mehr für eine gegenteilige Interpretation. Aber sei's drum. Der stern-reporter arbeitet sich ohnehin nicht allzulang am Prozeßgeschehen ab. Insbesondere das gut eingespielte »Pingpong zwischen Verteidigung und Unterstützer-Szene« fuchst den Journalisten. Oder doch eher den Staatsanwalt?
Daß die Anwältin Safwan Eids, Gabriele Heinecke, in Berlin und Frankfurt/Main an Veranstaltungen teilgenommen hat, monierte Ankläger Michael Böckenhauer etwa zeitgleich zum Redaktionsschluß des Hamburger Blattes und »regte an«, die Verteidigerin aus dem Verfahren auszuschließen. Wegen »politischer Funktionalisierung« ihres Mandanten, weiß Böckenhauer. Wissen auch die Herrn vom stern. Und haben doch selbst Erfahrung mit »politischer Funktionalisierung«: Kaum waren die Flammen in der Lübecker Hafenstraße erstickt, entdeckten sie ein Tatmotiv Safwan Eids: Möglicherweise aus Eifersucht habe der libanesische Flüchtling das Haus angezündet, in dem er mit seiner Familie gewohnt hatte.
Warum? Er hatte zuvor im Fernsehen ein blutiges Eifersuchtsdrama angeschaut, und dann konnte er sich, der Asylant, der Südländer, nicht mehr zurückhalten.