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junge Welt, Dienstag, 5. November 1996, Nr. 258, Seite 6, inland

>> Rettungssanitäter mit Gedächtnislücken

> Lübecker Brandprozeß: Matthias H. kann sich nicht an den Ort des angeblichen Geständnisses erinnern

"Und während wir da 'rumstanden, habe ich Herrn L. die Möglichkeit gegeben, mir von dem Geständnis zu berichten." Die Aussage von Matthias H. vor dem Lübecker Landgericht wirkt bürokratisch, seine Haltung gegenüber Mitmenschen scheint autoritär und sicher. Doch wann und wo der Rettungssanitäter von seinem Kollegen Jens L. tatsächlich jenes Bekenntnis gehört haben will, auf Grund dessen gegen Safwan Eid im Lübecker Brandprozeß verhandelt wird, daran kann sich Matthias H. auch am Montag beim besten Willen nicht erinnern.

Zwei Gelegenheiten habe es gegeben, an denen Jens L. ihm berichtet haben könnte, Safwan Eid habe zugegeben, »wir waren's«. Entweder, so Matthias H. auf Fragen des Vorsitzenden Richters Rolf Wilcken, noch vor der Abfahrt des Rettungsbusses vor dem brennenden Flüchtlingsheim in der Hafenstraße - sprich, bevor Jens L. den Angeklagten Safwan Eid überhaupt gesprochen hatte. Oder erst nach Abschluß des Einsatzes an jenem 18. Januar in »einer Kaserne«, dem Gelände, auf dem sich die Sanitäter ein bis zwei Stunden später fernab vom Geschehen wiedertrafen. Bei bisherigen Vernehmungen glaubte er sich sicher, noch am »Ereignisort« von dem Geständnis gehört zu haben. Einer jener auch bei der Befragung des Zeugen am Mittwoch immer wieder auftauchenden Widersprüche, für die dieser meist ein Antwort hat: »Ich kann mich nicht genau erinnern«.

Matthias H. gilt nach Jens L. als zweitwichtigster Zeuge der Anklage. Er soll die Glaubwürdigkeit der Aussage von Jens L. bestätigen. Entsprechend kamen die Vorwürfe gegen Safwan Eid bereits im Sommer erheblich ins Wanken, als bekannt wurde, daß der Sanitäter möglicherweise Kontakte zu rechtsradikalen Kreisen hielt oder noch hält. Nachdem zudem an die Öffentlichkeit geriet, daß er »Vorsitzender auf Lebenszeit« im von ihm gegründeten paramilitärischen Paintballclub Lübeck-Leathernecks ist, kümmerte sich auch die Staatsanwaltschaft intensiver um ihren Zeugen. Möglicherweise zu intensiv. Denn was auf einem Treffen bei der Lübecker Wasserschutzpolizei zwischen Matthias H., dessen Freundin, Jens L., zwei Beamten der Mordkommission sowie dem Ankläger Michael Böckenhauer Anfang Juli tatsächlich gesprochen wurde, ließ sich auch am gestrigen Verhandlungstag nicht erhellen. So weigerte sich Böckenhauer weiterhin, Angaben zu dem Meeting zu machen, obwohl durch die Aussagen von Matthias H. bekannt wurde, daß Beweismittel im Rahmen des Treffens offenbar verschwunden sind. So sei auch die Rede von einem Fragenkatalog gewesen, nach dem Matthias H. im Auftrag der Staatsanwaltschaft kurz zuvor befragt worden war. Ein Fragebogen, nach dem die Verteidigerinnen Eids, Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter, in ihren Prozeßakten vergeblich suchen. Folglich forderten die beiden am Mittwoch erneut die Vernehmung Böckenhauers als Zeugen.

Matthias H. nutzte jenes Treffen bei der Wasserschutzpolizei offenbar, um jeglichen Verdacht auszuräumen, es handele sich bei den »Lübeck Leathernecks« um einen paramilitärischen oder gar rechtsradikalen Verein. So brachte er den Anklägern nebst Vereinssatzung auch einen Aufnäher »Paintballspieler gegen Rassenhaß«. Den habe er zuvor extra von seinem Hemd abgetrennt, schilderte Matthias H. am Mittwoch dem Gericht. Auf Nachfragen Heineckes allerdings weiß der Zeuge dann nichts mehr davon, daß er den Aufnäher eigens abgetrennt habe: »Denn habe ich mich wohl vor einer Stunde geirrt.«

Wolf-Dieter Vogel, Lübeck