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junge Welt, Donnerstag, 14. November 1996, Nr. 266, Seite 6, inland

Hausbewohnerin dementiert Konflikte

> Lübecker Brandprozeß: Zeugin El Omari spricht von normalem Verhältnis zu Familie Eid

Die potentielle Belastungszeugin trug zur Entlastung bei: Die Hausbewohner der Lübecker Hafenstraße 52 hätten sich normal verstanden, sagte am Mittwoch Assia El Omari vor dem Lübecker Landgericht. Zur Familie des Angeklagten Safwan Eid sei das Verhältnis normal gewesen. Man habe sich bei kurzen Begegnungen gegrüßt, nach einem Streit zwischen den Söhnen der Familien sei das Verhältnis etwas abgekühlt. Nachdem es Ende September im Gerichtssaal - wo gegen Safwan Eid wegen des Verdachts verhandelt wird, er habe im Januar das tödliche Feuer in der Flüchtlingsunterkunft gelegt - zu offenen Auseinandersetzungen zwischen den Familien El Omari und Eid gekommen war, waren Spekulationen über einen Streit als mögliches Tatmotiv Safwan Eids neu belebt worden. Assia El Omari erstickte diese am Mittwoch im Keim.

Dennoch schien die Zeugin im Verlauf der Vernehmung nervlich schwer belastet. Ihre Aussagen standen im Widerspruch zu jenen Angaben, die sie zuvor gegenüber der Polizei gemacht hatte. Die Mutter von neun Kindern hatte selbst einen Sohn in den Flammen verloren. So wurde am Mittwoch, als Assia El Omari ihre Erlebnisse in der Brandnacht schilderte, erstmals richtig spürbar, worum es in dem Verfahren geht: um den Tod von zehn Menschen. Assia El Omari weinte, als sie erzählte, wie sie vom Rauchgeruch wach geworden war und ihre Familie geweckt hatte. Eine Tochter habe das Fenster ihrer Wohnung im zweiten Stock geöffnet. Rauch sei von außen eingedrungen, so daß kaum noch etwas zu sehen war. Schließlich habe sie ihre Töchter aus dem Fenster ins Sprungtuch der Feuerwehr geworfen. Nur ihren Sohn habe sie nicht mehr gesehen. Später mußte sie erfahren, daß er nicht mehr gerettet werden konnte.

Bis auf einen Platz ist die gesamte erste Reihe des Gerichtssaals mit Mitgliedern der Familie El Omari besetzt. Auch die Mädchen, die sonst den Prozeß eher ungerührt verfolgen, müssen an diesem Mittwoch immer wieder schlucken. Der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken bemüht sich, die Situation zu entspannen, indem er seine Fragen betont lässig ausspricht. Es mißlingt ihm gründlich. Er erweckt eher einen gelangweilten, leicht genervten Eindruck, wenn jede einzelne Frage übersetzt, die Antwort rückgedolmetscht werden muß.

Assia El Omari hatte schon bei einer polizeilichen Vernehmung behauptet, der Angeklagte Safwan Eid sei bereits 21 Jahre alt. Sein Alter ist entscheidend für die Frage, ob er nach Jugend- oder normalem Strafrecht verurteilt wird. Nur mit Mühe hatte es seine Verteidigerin Gabriele Heinecke geschafft, den Prozeß vor die Jugendkammer zu bekommen. Sie konnte Dokumente vorlegen, nach denen Safwan Eid erst 20 Jahre alt und damit nach Jugendstrafrecht zu verurteilen ist. Assia El Omari dagegen wiederholt vor Gericht, die Mutter des Angeklagten habe ihr bei einem zufälligen Gespräch in der gemeinsamen Waschküche im August 1995 erzählt, Safwan sei bereits 21 Jahre alt.

Elke Spanner, Lübeck