junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 23./24. November 1996, Nr. 274, Wochenened-Beilage, Seite 2
M ü l l a b f u h r
Von Wolf-Dieter Vogel
"Wende im Lübecker Brandprozeß«, »Die Verteidigung unter Druck«. Wieder einmal muß sich der gemeine Prozeßbesucher wundern, mit welcher Geschwindigkeit und inbrünstigen Überzeugung jenseits des Prozeßsaales Wahrheiten geschaffen werden. Ob Kieler Nachrichten oder Süddeutsche Zeitung, seit einigen Wochen scheint im Verfahren gegen Safwan Eid endlich durchzudringen, was wir schon immer wissen wollten: Der Libanese war's doch. Schließlich, so die Hobby-Kriminalisten, hat es Streit gegeben unter den Ausländern. Und Ausländer, die sich streiten, schlagen sich im allgemeinen tot. Oder zünden sich an. Und wenn schon Streit, dann ist auch egal, wer sich mit wem und wann gestritten hat. Hauptsache Streit, und dafür haben wir jetzt Kronzeugen par excellence. Richtig echte Bewohner der Unterkunft nämlich. Die eine hat Stimmen gehört, wenige Stunden vor Ausbruch des Brandes. Auf der Straße, vielleicht aber auch im ersten Stock - dort, wo nach Ansicht der Staatsanwaltschaft das tödliche Feuer ausgebrochen sein soll. In afrikanischer Sprache habe man sich angeschrien, sagt Frau El-Omari, deren Zeugenaussage für Beobachter vor Ort einen mehr als widersprüchlichen Eindruck macht. Aber das wissen die Leser nicht.
Die Aussage sei möglicherweise von »prozeßentscheidender Bedeutung«, schreiben die Kieler Nachrichten. Afrikanische Stimmen, die einen angeklagten Libanesen belasten?
Nun denn, noch ein Griff in die Zauberkiste: Vater Marwan Eid soll gesagt haben, das Feuer sei bereits um 2.30 Uhr ausgebrochen. Auf diese »Linie« wollte Vater Eid angeblich die Hausbewohner bringen, weiß die taz und müht sich, Munition aufzufahren. Insbesondere gegen Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke. Die nämlich »bellt ins Mikrophon«, wird »scharf« und »verwickelt« die Zeugin in Diskussionen. All das muß sie auch tun, klärt der taz-Journalist auf, glaubt sie doch »tatsächlich, daß der Brand von Neonazis gelegt wurde«. Deshalb muß der Brand um 2.30 Uhr ausgebrochen sein. Denn für einen späteren Zeitpunkt haben die vier tatverdächtigen Grevesmühlener doch ein Alibi, das bestätigt worden sei, weiß die taz. Man wundert sich erneut.
Was das alles mit dem Vorwurf gegen Safwan Eid zu tun hat? Nichts, aber in der medialen Inszenierung orientiert man sich gerne an anderen Kriterien: Was nicht für den Libanesen spricht, spricht gegen ihn.
Der Ausländer soll gefälligst seine Unschuld beweisen.