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junge Welt, Montag, 25. November 1996, Nr. 275, Seite 3, ansichten

>> Eine Wende im Prozeß gegen Safwan Eid?

> jW sprach mit Gabriele Heinecke, Anwältin des Libanesen Safwan Eid, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, für den Brandanschlag auf das Lübecker Flüchtlingswohnheim am 18. Januar verantwortlich zu sein. Bei dem Brand waren zehn Menschen ums Leben gekommen

F: Von einer Wende im Lübecker Brandprozeß wird gesprochen. Insbesondere die Zeugenangaben der Familie El Omari sollen Ihren Mandanten Safwan Eid belastet haben. Ein Sohn der El Omaris gab an, der Vater des Beschuldigten habe Zeugen unter Druck gesetzt ...

Die Familie El Omari hat Safwan Eid bisher nicht belastet. Von Seiten der Staatsanwaltschaft wird mit Hilfe der Aussagen der El Omaris versucht, die Glaubwürdigkeit des Vaters von Eid in Frage zu stellen. Dieser wichtige Zeuge berichtete, unter seinem Fenster in der Brandnacht Glas splittern sowie eine Explosion gehört und dann Feuer im Vorbau gesehen zu haben. Der Zeuge Walid El Omari behauptet, er wisse vom Hörensagen von einem Anruf des Marwan Eid bei ihnen zu Hause. Vater Eid habe gesagt, die Presse wolle zu ihnen kommen, um sich mit den Kindern des Brandhauses zu unterhalten. Die Kinder sollten sagen, daß eines der Fenster im hölzernen Vorbau offen war. Mit anscheinend zunehmender Nähe zur Staatsanwaltschaft scheint es für die Familie El Omari nun ganz wichtig zu werden, daß dieses Fenster stets fest geschlossen war.

Tatsächlich hatte der Brand-Sachverständige Achilles im April festgestellt, daß das Fenster über keine Schließvorrichtung verfügt. In der letzten Woche haben wir zudem einen jungen Zeugen gehört, der bestätigte, daß das Fenster aufgesprungen sei, wenn beispielsweise ein Fußball gegen den Rahmen geflogen sei. Wie man den geschilderten Anruf von Vater Eid - sollte er überhaupt erfolgt sein - als »unter Druck setzen« interpretieren kann, ist mir schleierhaft. Auffällig ist, daß die Familie El Omari jetzt - im Widerspruch zu früheren Schilderungen - das Verhältnis zwischen den beiden Familen weniger positiv darstellt.

F: Wie erklären Sie sich diese Veränderungen?

Zum einen leidet insbesondere die Mutter El Omari sehr unter dem Tod ihres Sohnes. Sie scheint sich an den Gedanken, Safwan Eid sei der Täter, gewöhnt zu haben. Seine lange Inhaftierung und die Rolle als Angeklagter können durchaus suggestive Wirkung entfalten. Zum anderen scheint die Familie unter einem Einfluß zu stehen, dem sie bei ihren früheren Aussagen nicht ausgesetzt war.

F: Frau El Omari sagte, wenn schon alle anderen lügen, wolle wenigstens sie die Wahrheit sagen ...

Die Zeugin sagte in der Hauptverhandlung, sie habe sich erinnern müssen, nachdem sie ihren Sohn Rabia gesehen habe. Auffällig ist, daß sie ihren früher gemachten Aussagen in fast jedem Punkt diametral widerspricht. Nachdem die Verteidigung ihr dies vorhielt, zweifelte sie daran, daß die Polizei ihre Aussage richtig aufgeschrieben habe. Natürlich kann man daran zweifeln, daß die Polizei in allen Punkten richtig aufnimmt. Aber daß sie in einer mit Dolmetscher geführten Vernehmung in jedem Punkt das Gegenteil von dem notiert, was gesagt wurde, halte ich für unwahrscheinlich.

F: In den Medien liest man, daß es zwischen den Bewohnern der Hafenstraße doch Streit gegeben haben soll. Hierzu habe Frau El Omari entscheidende Anhaltspunkte geliefert. Sie will kurz vor Ausbruch des Brandes laute Stimmen im ersten Stock gehört haben.

Frau El Omari hat nach einer im April gemachten Aussage nachts Schreie oder Laute auf der Straße gehört. In der Hauptverhandlung wurde dies zu einem Streit auf der Straße. Bei der weiteren Befragung durch die Staatsanwaltschaft sagte sie, es hätte sich um einen in afrikanischer Sprache geführten lauten Streit in der Wohnung im ersten Stock gehandelt. Sie habe dies alles im Halbschlaf mitbekommen und könne darum keine zeitliche Einordnung vornehmen. Ihr Sohn Walid El Omari, der bisher nie dahingehende Angaben gemacht hatte, wiederholt jetzt auf einmal die Angaben seiner Mutter.

F: Afrikanische Stimmen können schwerlich einen Libanesen belasten.

Das sehe ich auch so.

F: Marwan Eid soll gesagt haben, gegen 2.30 Uhr habe er eine Bombe gehört. In der taz ist sogar zu lesen, daß dieser Zeitpunkt von der Verteidigung aufrechterhalten werden müsse, damit die These von einem Brandanschlag von außen weiterhin Bestand hätte. Die verdächtigen Grevesmühlener hätten für den Zeitpunkt 3.40 Uhr ein Alibi.

Daß die Verteidiung einen Zeitpunkt aufrechterhalten müßte, ist Unsinn. Von einem Brandausbruch um 3.40 Uhr hat bisher niemand gesprochen. Die bisherige Beweisaufnahme zur Ermittlung der Brandausbruchszeit ist nicht recht weitergeführt worden. Wenn Marwan Eid tatsächlich um 2.30 Uhr die Explosion gehört und das Feuer im Vorbau gesehen hätte, wäre schwerlich nachvollziehbar, daß er sich mit seiner Familie noch über eine Stunde im Haus aufhält. Seine Frau und sein jüngster Sohn zogen sich beim Feuersprung schwerste Verletzungen zu. Die Verteidigung versucht herauszufinden, was sich in dieser Nacht tatsächlich abgespielt hat. Die späte Behauptung der Familie El Omari, Marwan Eid habe von 2.30 Uhr gesprochen, soll helfen, seine Aussage insgesamt in Frage stellen zu können.

Es ist Zeit, endlich wieder die Ermittlungen in andere Richtung aufzunehmen. Neben der Vielzahl anderer Indizien gibt es ein Gutachten des Landeskriminalamtes Kiel, worin steht, daß das neben dem Vorbau gelegene Fenster im Erdgeschoß eingeschlagen und aufgehebelt worden ist. Das weist recht eindeutig auf Gewalteinwirkung von außen hin.

Interview: Wolf-Dieter Vogel