junge Welt, Dienstag, 26. November 1996, Nr. 276, Seite 5, inland
Lange bevor Polizei und Feuerwehr in der Lübecker Hafenstraße eintrafen, hatte Kibulu Katuta bereits sich und seine Familie aus dem brennenden Haus gerettet - und die Ausbreitung des Feuers beobachtet, das im Januar zehn Flüchtlingen das Leben kostete. Katuta am Montag vor dem Lübecker Landgericht, wo gegen den ehemaligen Bewohner Safwan Eid prozessiert wird: »Im Erdgeschoß war es sehr heiß. Es brannte stark. Von dort schlugen die Flammen in den ersten Stock hoch.«
Katuta bewohnte in der Flüchtlingsunterkunft das Erdgeschoß. Nachdem er aus dem Fenster gesprungen war, so berichtete er, sei er um das Haus herumgelaufen. Dabei habe er gesehen, wie der hölzerne Vorbau stark brannte. Die ersten Polizeibeamten seien erst eine Viertelstunde später eingetroffen, die Feuerwehr rund weitere 20 Minuten danach. Die Aussage des ehemaligen Bewohners ist deshalb bedeutend, weil Polizei und Feuerwehr vor Gericht stets den ersten Stock als Hauptbrandstelle bezeichnet hatten. Dies entsprach der Anklage, die davon ausgeht, daß das Feuer im Innern des Hauses im ersten Stock gelegt worden sein soll. Allerdings waren die Einsatzkräfte sämtlich von der Innenstadt aus auf das Haus zugefahren, von wo aus sie den hölzernen Vorbau, den die Verteidigung Safwan Eids für den Brandausbruchsort hält, gar nicht sehen konnten.
Die Anklageversion wurde auch durch eine weitere Aussage Katutas am Montag erneut erschüttert. Der Zeuge zeigte sich sicher, daß das Fenster im hölzernen Vorbau nicht verschlossen gewesen sei. Katuta: »Man konnte es einfach aufdrücken.« Bei Fußballspielen der Kinder sei das Fenster schon aufgesprungen, wenn nur ein Ball dagegenflog. Dies läßt die Vermutung zu, daß jemand durch das Fenster von außen Zugang zum Vorbau gehabt oder etwas hineingeworfen haben könnte. Auch die Eingangstür, so Katuta weiter, sei fast nie abgeschlossen und leicht zu öffnen gewesen.
Mit diesen Aussagen widersprach Katuta Punkt für Punkt dem, was in den vergangenen beiden Wochen die Familie El Omari zu Protokoll gegeben hatte. Die Mutter Assia El Omari hatte ausgesagt, das Fenster im Vorbau sei gar nicht zu öffnen gewesen. Ihr Ehemann habe die Haustür allabendlich abgeschlossen. Als ihm das vorgehalten wurde, ergänzte Katuta: »Alle hatten einen Schlüssel. Kam jemand nach Hause, nachdem die El Omaris abgeschlossen hatten, war die Tür eben wieder auf.«
Zur Sprache kam am Montag auch die »gemeinsame Erklärung der Überlebenden«, in der diese sich davon überzeugt zeigten, daß Safwan Eid nicht der Brandstifter ist. In der Presse war den unterzeichnenden Flüchtlingen unterstellt worden, sie hätten sich damit von antirassistischen Gruppen instrumentalisieren lassen. Gegen diese Entmündigung verwehrte sich Katuta entschieden. Zwar hätten Leute aus Hamburg die Erklärung formuliert, räumte er ein, sie seien jedoch auf Initiative der Überlebenden aktiv geworden.
Elke Spanner, Lübeck
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junge Welt, Dienstag, 26. November 1996, Nr. 276, Seite 13, politisches buch
FAZ-Jägerlatein
Sie werden sich vielleicht schon gefragt haben, wie man Rassisten oder Neonazis im Alltag erkennen kann. Tragen die alle diese kleinen bunten Aufnäher »Ausländer raus!«, murmeln sie »Kanaken, Kanaken, Kanaken« vor sich hin, tragen sie ein Bildnis des Kanther in ihrem Portefeuille? Manche tun das, aber ich sage Ihnen, die meisten würde man auf der Straße nicht erkennen.
Da ist es gut, daß wir Volker Zastrow, den Jan Feddersen der FAZ, haben. Herr Zastrow klärte uns vor ein paar Tagen darüber auf, daß nicht etwa die Staatsanwaltschaft »rassistische Elemente« in den Lübecker Prozeß gegen Safwan Eid gebracht habe, sondern die Verteidigung! Die habe nämlich die Nebenkläger instrumentalisiert! Das verblüfft Sie, nicht wahr? Rassisten, wo man sie nicht vermutet. Außerdem habe eine Verteidigerin »ohne Not« die Grevesmühlener Strizzis »summarisch« als »Neonazis« bezeichnet. Und so etwas darf man ja seit der Goldhagen-Debatte ebenfalls Rassismus nennen, Rassismus gegen unschuldige Deutsche. Aber möglicherweise, spekuliert Zastrow weiter, werden selbst die (deutschen) Verteidigerinnen »benutzt« - »in diesem Fall vornehmlich« von Safwan Eids Vater Marwan. Der habe ohnehin »ein Wissen über das wirkliche Geschehen« erkennen lassen, muß also in den Brandanschlag verwickelt sein. Der FAZ-Jäger will nämlich gar nicht unbedingt den Sohn Eid hinter Gittern sehen, der Vater wäre ihm auch recht. Vielleicht, spekuliert der Anti-Rassist munter vor sich hin, könnte auch die »stark verkohlte und verkochte Leiche eines Afrikaners« zu einer »überzeugenden Erklärung« führen. Ja, vielleicht. Aber eines steht fest: An allem sind die Ausländer schuld.
Neben seiner Jagd auf die wahren Täter schreibt Zastrow gemütliche kleine Geschichten, z. B. über Jäger. Letzte Woche setzte er eine ins FAZ-Magazin. Da läßt er einen Herrn Schmulf sinnieren, mit Jägern sei es »wohl ähnlich wie mit den Rechtsradikalen, die schließlich ebenfalls überall herumwimmelten, aber direkt treffen tat man nie einen«. Klare Sache, Herr Schmulf liest FAZ, wo es »summarisch« keine Neonazis gibt. So trifft man eben nie einen. Sie werden aus dem Verfahren ausgeschlossen.
Und wie Herr Zastrow darauf kommt, ahne ich auch schon: Wenn man den ganzen Tag mit Typen wie Fromme, Reißmüller, Schümer und Schirrmacher zusammenarbeitet, fallen einem die Rechtsradikalen gar nicht mehr auf. Sie sind so harmlos wie man selbst.
Stefan Ripplinger