junge Welt, Dienstag, 3. Dezember 1996, Nr. 282, Seite 5, inland
Der erste Notruf aus dem brennenden Haus: »Kommen Sie schnell, wir werden hier im Haus von den Nazis attackiert«. Was Frau Makodila, die diesen Hilferuf am 18. Januar aus der Flüchtlingsunterkunft Lübecker Hafenstraße 52 abgab, gesehen hatte, wird nie mehr zu klären sein. Sie starb mit ihren fünf Kindern in dem brennenden Haus. Vor dem Lübecker Landgericht identifizierte der Angeklagte Safwan Eid am Montag die Stimme der schreienden Frau auf dem Tonband als die von Frau Makodila.
Dem Tonband mit dem Notrufmitschnitt könnte im Verfahren erheblicher Beweiswert zukommen. Frau Makodila rief bei der Polizei um 3.41 Uhr an - rund zehn Minuten vor dem Eintreffen der Polizei und Feuerwehr. Zu dem Zeitpunkt sah sie bereits lodernde Flammen. Da sie ein Zimmer zur Konstinsstraße und damit zu der Seite bewohnte, auf der sich der hölzerne Vorbau befindet, kann sie die Flammen nur dort gesehen haben. Das würde die These der Verteidigung Safwan Eids stützen, daß das Feuer von außen im hölzernen Vorbau gelegt wurde. Und was hatte sie außerdem gesehen, ehe sie der Polizei immer wieder ins Telefon schrie: »Das sind die Nazis«?
Frau Makodila sprach bei ihrem Notruf teilweise deutsch, teilweise französisch, einzelne Sätze auch in der Landessprache Zaires. Im Hintergrund ist ein Kind zu hören, das ebenfalls in dieser Sprache »mein Gott, mein Gott« schreit. Das könnten die »lauten afrikanischen Stimmen sein«, welche Mitglieder der Familie El Omari angaben, in der Brandnacht gehört zu haben. Mutter Assia El Omari und Sohn Walid interpretierten die Stimmen als Streit. Da sie über das Sprungtuch gerettet wurden, das laut Polizeiaussagen erst um 3.51 Uhr bereit war, könnten sie sich beim Notruf von Frau Makodila rund zehn Minuten vorher noch im Halbschlaf befunden haben.
Der Aussage von Assia und Walid El Omari war in den vergangenen Wochen große Bedeutung zugemessen worden, weil sie als KronzeugInnen der Anklage gelten. So hatte Walid etwa behauptet, der Vater von Safwan Eid habe sie unter Druck setzen wollen, auszusagen, ein Fenster im Vorbau sei offen gewesen. Das Fenster ist entscheidend, weil nach der Version der Verteidigung auf diesem Wege ein Täter eingedrungen sein oder etwas hineingeworfen haben könnte. Walid El Omari hatte behauptet, Marwan Eid habe bei ihnen angerufen und gesagt: »Da kommt jemand von der Presse. Sagt, daß das Fenster offen war.« Als er am Montag erneut vernommen wurde, mußte er einräumen, nicht einmal zu wissen, wer aus seiner Familie mit Marwan Eid telefoniert haben wollte. Auch habe ihn kein Familienmitglied den Inhalt des Telefonats erzählt. »Kann es auch sein, daß Marwan Eid sagte, Sie sollen aussagen, ob das Fenster geöffnet war?« fragte Rechtsanwältin Barbara Klawitter nach. Walid El Omari: »Ich weiß es nicht mehr.«
Auch ein Polizeibeamter der Spurensicherung sagte am Montag aus. Seiner Einschätzung nach war das Fenster des hölzernen Vorbaus beim Brand geschlossen. Er bestätigte die Aussage Kibolo Katutas von der Vorwoche, das Fenster sei gar nicht abzuschließen gewesen, bezweifelte jedoch dessen Beobachtung, daß es durch das Gegenfliegen eines Fußballs von alleine aufspringen konnte. Bemerkenswert war an der Aussage des Spurensicherers, wie früh er sich auf den ersten Stock als vermeintlichen Brandausbruchsort festgelegt hatte: »Am Morgen des 18. Januars, wenige Stunden nachdem die Feuerwehr das Feuer gelöscht hatte.«
Elke Spanner, Lübeck