junge Welt, Dienstag, 7. Januar 1997, Nr. 5, Seite 6, inland
"Wir sind hier das Gericht, und wir versuchen, alles richtig zu machen", erklärte der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken zu Beginn des 28. Verhandlungstages im Lübecker Brandprozeß am Montag dem neunjährigen Zeugen Ahed Alias. Sechs Jahre lebte der Junge gemeinsam mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern im Dachgeschoß des durch Brandstiftung zerstörten Lübecker Flüchtlingsheims.
Streit, so betont Ahed in der anschließenden Befragung, habe es in dem Haus nicht viel gegeben. In der Brandnacht am 18. Januar vergangenen Jahres habe seine Mutter ihn geweckt, weil sie Rauch und Feuer im Treppenhaus bemerkt habe. Danach habe seine Mutter auch den Angeklagten Safwan Eid und dessen Brüder geweckt, die im Nachbarzimmer geschlafen hätten. Eid und dessen Brüder hätten ihn, seine Mutter und seine Geschwister durch ein Fenster nach draußen auf das Dach gezogen, von wo aus alle durch die Feuerwehr gerettet worden seien. Safwan Eid habe das Dach dabei als letzter verlassen.
Wenn Ahed mit seinen Freunden vor der Tür Fußball spielte, erzählt der Neunjährige, sei das Fenster regelmäßig aufgegangen. »Das Fenster ging sehr leicht auf«, betont Ahed. Diese Aussage entspricht der These der Verteidigung, die davon ausgeht, daß das Feuer durch einen Anschlag von außen im Vorbau des Hauses gelegt worden ist.
Nach Ahed wird Thalil El-Omari vernommen. Der Vater der Nebenklägerfamilie, die durch den Brand einen Sohn verlor, betont im Widerspruch zu Ahed, daß die Fenster im Vorbau des Hauses gar nicht zu öffnen gewesen seien. Versucht habe er es jedoch nie, weil »keine Griffe« dagewesen seien. Auch Thalil El-Omari unterstreicht, daß die Bewohner des Hauses sich immer gut verstanden hätten. »Wir sind immer freundlich miteinander umgegangen.«
Doch seine Aussage wimmelt von Erinnerungslücken. Er sei, als er den Brand bemerkt habe, auf den Fenstersims nach draußen gestiegen, von wo aus er schließlich gerettet worden sei. Mehr weiß er im Grunde nicht mehr.
Christian Eggers, Lübeck