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junge Welt, Mittwoch, 15. Januar 1997, Nr. 12, Seite 4, inland

>> Lübecker Zeugen gezielt verunsichert

> Verteidigung im Brandprozeß kritisiert erneut Befragung durch Staatsanwaltschaft

Heftige Kritik von Verteidigung und Nebenklagevertretern an der Staatsanwaltschaft stand auch am Montag im Zentrum des Lübecker Brandprozesses. Die Rechtsanwältin des Angeklagten Safwan Eid, Barbara Klawitter aus Hannover, bemängelte nochmals die Befragung der Zeugin Ottodzo Dope Agonglovi durch die Staatsanwaltschaft am vergangenen Mittwoch.

Die Vertreter der Anklagebehörde hätten insbesondere mit ihren Fragen nach den verschiedenen Vätern der Kinder der Zeugin und nach ihren mutmaßlichen Erziehungsschwierigkeiten tief in die Privatsphäre Frau Agonglovis eingegriffen. Dabei sei es der Staatsanwaltschaft nicht um eine Sachaufklärung der Brandstiftung gegangen, sondern darum, die Glaubwürdigkeit der Zeugin in Frage zu stellen, die in ihrer Aussage betont hatte, daß sie glaube, Rechtsradikale hätten das Feuer gelegt. Bei dem Brand waren am 18. Januar vergangenen Jahres zehn Bewohner des Flüchtlingsheims in der Lübecker Hafenstraße getötet und 38 zum Teil schwer verletzt worden.

Nach der Kritik der Verteidigung, der sich auch drei Rechtsanwälte der Nebenkläger anschlossen, wurde der Prozeß mit der Vernehmung der Zeugin Mvola Katuta Eyenga, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter im Erdgeschoß des Flüchtlingsheims wohnte, fortgesetzt. Die Zeugin bestätigte frühere Aussagen ihres Mannes, wonach sie und ihre Angehörigen sich in der Brandnacht aus einem Fenster ihrer Wohnung gerettet hätten. Von draußen habe sie danach den hölzernen Vorbau des Hauses brennen gesehen.

Die Staatsanwaltschaft wirft Safwan Eid vor, das Feuer im ersten Stock des Hauses gelegt zu haben, während die Verteidigung von einer Brandstiftung von außen im Eingangsbereich ausgeht.

Wie auch schon andere ehemalige Bewohner des Hauses bestätigte Frau Katuta Eyenga, daß mindestens ein Fenster im hölzernen Vorbau des Flüchtlingsheims nicht fest verschließbar gewesen sei. Von der Staatsanwaltschaft vorgelesene angebliche Aussagen der Zeugin vor der Polizei, wonach sie in der Brandnacht einen Streit im 1. Stock des Hauses gehört habe, bestritt Frau Katuta Eyenga: »Nein, das habe ich nie gesagt. Wie hätte ich einen solchen Streit hören sollen?« Die Zeugin ist schwerhörig und trägt erst seit etwa drei Monaten ein Hörgerät.

Christian Eggers, Lübeck