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junge Welt, Donnerstag, 16. Januar 1997, Nr. 13, Seite 5, inland

>>Staatsanwälte im Lübecker Prozeß setzen auf Zeit

> Fragen beschäftigen sich vor allem mit Zeugen selbst

Im Prozeß um die Brandstiftung in dem Lübecker Flüchtlingsheim scheint die Strategie der Staatsanwaltschaft nur noch auf den Faktor Zeit zu setzen. Wie schon an den vorangegangenen Verhandlungstagen zogen die Vertreter der Anklagebehörde die Zeugenvernehmung auch am Mittwoch durch Fragen in die Länge, deren Berechtigung und Sachzusammenhang nicht nur von den Verteidigerinnen des Angeklagten Safwan Eid, sondern immer häufiger auch vom Vorsitzenden Richter Rolf Wilcken in Frage gestellt wurde.

Der Zeuge Gustave Sossou, der in der Brandnacht am 18. Januar vergangenen Jahres im ersten Stock des Flüchtlingsheimes schlief, schilderte am 31. Verhandlungstag, wie ihm die Flucht vor dem Feuer durch ein Fenster gelang. Zuvor sei er von Sylvio Amoussou, dessen stark verkohlte Leiche später im Eingangsbereich des Hauses gefunden wurde, mit den Worten »Feuer, Feuer!« geweckt worden. Auf dem Flur habe er vor seiner Flucht nur Rauch, aber kein Feuer wahrgenommen, betonte Sossou mehrmals.

Das aber hinderte die Staatsanwälte Michael Böckenhauer und Axel Bieler nicht, immer wieder nachzufragen. »Haben Sie Feuer oder Rauch gesehen?« Da es beim Rauch blieb, was nicht der Theorie der Anklagebehörde entspricht, wonach der Brand im Treppenhaus der ersten Etage ausgebrochen ist, stellten die Staatsanwälte weitere Fragen, deren Beantwortung durch den Zeugen bereits lange erfolgt war: »Welche Kleidung trugen Sie?« Der Zeuge war nackt, was er schon zuvor erklärt hatte. »Wieviel Personen waren in Ihrem Zimmer?« Der Zeuge hatte bereits ausgesagt, daß er mit Sylvio Amoussou und Ray Sossou in einem Zimmer übernachtet hatte. »Wo standen die Polizeifahrzeuge?«

Stundenlang, immer wieder unterbrochen von Gericht und Verteidigung, ging es so weiter.

»Die Fragestellung der Staatsanwaltschaft zielt nur darauf ab, die Zeugen, die nicht ihrer Meinung sind - die Opfer der Brandkatastrophe sind -, in die Nähe der Täter zu rücken«, erklärte Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke anschließend gegenüber junge Welt.

Christian Eggers, Lübeck