junge Welt, Freitag, 17. Januar 1997, Nr. 14, Seite 2, ansichten
> Gespräch mit Natalija Basic. Sie und ihre Kollegin Nina McCune vom Hamburger Institut für Sozialforschung haben im März und April mehrere Interviews in der Hansestadt geführt, um die Formen des Umgangs mit dem Brand und seiner Verarbeitung zu erkunden
F: Haben Sie mit Ihren Fragen über den Brandanschlag offene Türen eingerannt?
Wir hatten sehr viel Mühe, Leute zu finden, die sich uns ausführlich mitteilen wollten. Bei eher zufälligen Kontakten haben es die Leute in der Regel abgelehnt, mit uns zu sprechen. Ganz deutliches Mißtrauen gab es, wenn man uns für Presseleute hielt. Diese hätten damals die Stadt belagert und wären nur auf der Suche nach Rechtsradikalen gewesen.
F: Wie äußerten sich Ihre Gesprächspartner konkret?
Der Brandanschlag war bei allen bekannt. Die meisten brachten ihn aber
obwohl klar war, worum es bei der Befragung ging - nicht direkt zur Sprache. Im Grunde wollten sich alle vorsichtig um das Thema herumlavieren. Sie sprachen von dem Verhältnis zwischen Bevölkerungsmehrheit und - minderheit sowie von Fremdenfeindlichkeit und Gewalt, über ihre Vorstellungen zu den Umständen, wie es dazu kommen kann. Der Hafenstraßenbrand wurde nur selten direkt angesprochen.
F: Welche Begrifflichkeiten haben die Befragten in ihren Antworten benutzt?
Die deutschen Befragten hatten - wenn sie Fremdenfeindlichkeit thematisierten - die Gruppe der Flüchtlinge und Asylbewerber im Blickfeld. Die von ihnen als »Gastarbeiter« Bezeichneten wurden hingegen zur Lübecker Bevölkerung gezählt. Ihre Anwesenheit wurde nicht in Frage gestellt, während Fremdenfeindlichkeit ausschließlich mit der Gruppe der Asylbewerber in Verbindung gebracht wurde. Ein Zitat zur Beschreibung: »Wir waren sehr betroffen, gerade in Lübeck. Wir sind eine Stadt mit großer Weltoffenheit, hanseatischer Tradition, da macht einen das schon sehr betroffen. Vor allem wenn sich diese bedauerlichen Zufälle wiederholen.« Sie wirkten sehr verunsichert und angeschlagen, was den Brand angeht. Sie redeten generell von einer Fremdenfeindlichkeit, so wie sie diese eben aus der Medienberichterstattung kennen, und vermieden es, diese diagnostizierte Fremdenfeindlichkeit auf Lübeck zu beziehen.
F: Zum Zeitpunkt der Befragung hatte die Version der Ankläger Hochkonjunktur, die Safwan Eid als Täter präsentierte. Wie reagierten Ihre Interviewpartner darauf?
Sie waren sehr verunsichert. Es paßte nicht in ihren Vorstellungsrahmen, daß Flüchtlinge bei einem Brandanschlag ums Leben kommen, der nicht von Rechtsradikalen verübt worden sein soll. Das hat dazu geführt, daß sehr unterschiedlich über das Ereignis nachgedacht wurde. Die einen diskutierten über die verbliebenen Wirkungen auf die Stadt und überlegten, wie man ihr ein ausländerfreundliches Gesicht verpassen könnte. Gleichzeitig verkürzten sie den Anschlag auf seinen kriminellen Aspekt und blendeten einen rassistischen Kontext vollständig aus. Andere verallgemeinerten und sagten, Gewalt sei generell ein Ausdruck von Neid und Haß. Es würde keinen Unterschied machen, welche Motivation dem Anschlag zu Grunde liege, wenn so viele Menschen ums Leben gekommen seien. Beide Reaktionen sind nur den deutschen Befragten zuzuordnen. Für die Nichtdeutschen war die Festnahme des Hausbewohners ein Skandal. Im selben Atemzug bezeichneten sie es als normal, weil Fremdenfeindlichkeit und ihre Vertuschung an der Tagesordnung seien. Andere mit eher positiven Migrationserfahrungen nahmen den Anschlag zum Anlaß, über Erfahrungen in der Fremde nachzudenken.
F: Konnten sich Ihre Interviewpartner noch an den Anschlag auf die Lübecker Synagoge 1994 erinnern?
Ja, vor allem als Anschlag, der von Außenstehenden verübt worden war. In der Folge könnten nach ihren Einschätzungen am Hafenstraßenbrand auch keine Lübecker Bürger beteiligt gewesen sein.
Interview: Gerhard Klas, SoZ