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junge Welt, Dienstag, 21. Januar 1997, Nr. 17, Titelseite

>> Böckenhauer beschuldigt

> Staatsanwalt wirft Eid-Verteidigerinnen Verleumdung vor. Von Christian Eggert, Lübeck

Im Lübecker Brandprozeß hat die Verteidigung dem Staatsanwalt Michael Böckenhauer am Montag vorgeworfen, durch die Aussagen des Zeugen Gustave Sousou vergangenen Mittwoch »schwer belastet« zu sein. Der Inhalt des ersten Haftbefehlsantrages Böckenhauers gegen den Angeklagten Safwan Eid vom 20. Januar 1996 »war eine Verfälschung des sich aus den Ermittlungsakten ergebenden Sachverhalts«, erklärte Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke vor dem Lübecker Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, am 18. Januar vergangenen Jahres das Feuer in dem Lübecker Flüchtlingsheim gelegt zu haben, durch das zehn Menschen starben und 38 zum Teil schwer verletzt wurden.

Der Zeuge Gustave Sousou sei jener Hausbewohner, erklärte Heinecke, der laut Böckenhauers erstem Haftbefehlsantrag der Familienvater gewesen sein soll, mit dem Safwan Eid Streit gehabt habe und gegen dessen Wohnungstür Eid Benzin gegossen und angezündet habe, um sich zu rächen. Sousou habe jedoch niemals eine entsprechende Aussage vor der Polizei gemacht. Der Inhalt des Haftbefehlsantrages stehe sogar »im direkten Widerspruch« zu Sousous Aussage vor der Polizei am 19. Januar vergangenen Jahres. Denn dort habe der Zeuge betont, er sei nicht als »Familienvater«, sondern als »Gast seiner Cousine« in dem Flüchtlingsheim gewesen. Außerdem lasse sich in dem polizeilichen Protokoll auch keine Aussage Sousous finden, die Safwan Eid beschuldige, das Feuer gelegt zu haben.

Dieser Widerspruch zwischen Sousous tatsächlicher Aussage vor der Polizei und dem Inhalt des Haftbefehlsantrages, so Heinecke weiter, spreche eindeutig gegen Böckenhauer.

»Dem Staatsanwalt Dr. Böckenhauer selbst war das Erfinden einer Geschichte von der das Gegenteil bereits in den Akten niedergeschrieben war - recht,« um Eid zum Beschuldigten zu machen. Heinecke: »Ohne die Verfälschung des Sachverhalts im Haftbefehlsantrag vom 20. Januar 1996 wäre ganz offensichtlich kein Haftbefehl gegen Safwan Eid erlassen worden.«

Heineckes Kollegin, Rechtsanwältin Barbara Klawitter aus Hannover, ergänzte, daß Staatsanwalt Michael Böckenhauer in seinem zweiten Haftbefehlsantrag gegen Safwan Eid vom 20. März 1996 die Gustave Sousou fälschlicherweise unterstellten Aussagen weggelassen und sich nur noch auf die Behauptung des Rettungssanitäters Jens Leonardt gestützt habe. Leonardt hatte vor der Polizei ausgesagt, Safwan Eid habe ihm gegenüber gestanden, das Feuer gelegt zu haben. Nach Ansicht von Rechtsanwältin Klawitter zeigt der Wegfall der Sousou zugeschriebenen Aussagen in Böckenhauers zweitem Haftbefehlsantrag, daß der Staatsanwalt »wußte, was er getan hat«, als er den ersten mit erfundenen Aussagen beantragt habe.

Böckenhauer reagierte auf die Vorwürfe der Verteidigung mit einer Drohung. Die Stellungnahme schlage »dem Faß den Boden aus« und unterstelle, »daß ich eine strafbare Handlung begangen habe«. Das werde Folgen haben. Die Verteidigung erfülle einen »Anfangsverdacht der Verleumdung«, erkärte der Staatsanwalt und unterstellte, die Verteidigerinnen versuchten, »meine Person anzugreifen, um mich aus diesem Verfahren rauszukegeln«. Das werde ihnen nicht gelingen. Inhaltlich nahm Böckenhauer zu den Vorwürfen keine Stellung.