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junge Welt, Donnerstag, 23. Januar 1997, Nr. 19, Seite 6, inland

>> Mögliche Beweismittel weggeworfen

> Lübecker Brandprozeß: Kripo-Kommissar bestätigt schlampige > Spurensicherung der Polizei

Bei der Untersuchung der Brandruine des Lübecker Flüchtlingsheims ist die Polizei vielen möglicherweise wichtigen Spuren nicht nachgegangen. Das geht aus der Aussage von Kriminaloberkommissar Olaf Obenaus hervor, der am Mittwoch vor dem Lübecker Landgericht vernommen wurde. Der Polizist war in der Brandnacht am 18. Januar vergangenen Jahres mit der Spurensichtung und -sicherung vor Ort betraut.

Im hölzernen Eingangsbereich des Hauses hätten er und seine Kollegen unter anderem ein »zusammengeschmolzenes Stück Drahtglas« gefunden, sagte Obenaus. Man sei zwar davon ausgegangenen, daß das Glas aus der Eingangstür des Flüchtlingsheims stammte, habe dem aber keine Bedeutung beigemessen. Obenaus: »Die Entscheidung war klar, das war ein Klumpen Brandschutt, nicht beweiserheblich, nicht ermittlungsrelevant.« Man habe das Glas deswegen weggeschmissen.

Die Verteidigerin des Angeklagten Safwan Eid, Gabriele Heinecke aus Hamburg, mußte den Polizisten darauf hinweisen, daß das Stück Glas doch Anhaltspunkte über die Temperaturentwicklung und damit eventuell Aufschluß über die mögliche Verwendung von Brandbeschleunigern im Eingangsbereich hätte geben können. Obenaus gestand das zu: »Heute würde ich das sichern.«

Heute würde er vielleicht auch ein von ihm damals vor der Tür des Flüchtlingsheims gefundenes zusammengeschmolzenes Metallteil genauer untersuchen. Damals jedoch war er der Ansicht, »das ist ein Klumpen Metall, an dem kann man nichts mehr feststellen, darum haben wir ihn weggeschmissen«. Auf den Vorhalt der Rechtsanwältin, bei dem Stück Metall hätte es sich eventuell um den Zünder eines Brandsatzes handeln können, blieb der Kriminaloberkommissar eine Antwort schuldig.

Die Verteidigung geht davon aus, daß das Feuer, durch das zehn Menschen starben, durch einen Brandanschlag von außen im Eingangsbereich des Hauses gelegt worden ist. Die Staatsanwaltschaft behauptet demgegenüber, Safwan Eid habe den Brand im ersten Stock des Flüchtlingsheims gelegt, indem er Benzin ausgeschüttet und angezündet habe. Eine Spanplatte aus dem Fußboden der ersten Etage wurde laut Obenaus ebenfalls weggeworfen, obwohl genau an der Stelle, an der sie lag, nach der Theorie der Staatsanwaltschaft der Brand ausgebrochen sein soll.

Doch damit nicht genug: Glasscherben und Drähte, die im Eingangsbereich gefunden wurden, wurden nicht untersucht, die Schloßfalle der Haustür wurde nicht sichergestellt. Weder an den Fenstern noch an der Tür wurde nach Fingerabdrücken geforscht. Und schließlich war vor der Eingangstür nicht einmal nach Resten von Brandbeschleunigern gesucht worden. Das alles erschien der Spurensicherung laut Obenaus »nicht beweiserheblich«, schließlich könne bei einem solchen Einsatz »nicht alles gesichert werden«.

Christian Eggers, Lübeck