junge Welt, Dienstag, 4. Februar 1997, Nr. 29, Seite 6, inland
Die Theorie der Staatsanwaltschaft im Lübecker Brandprozeß, wonach es zwischen den Bewohnern des Flüchtlingsheims in der Hafenstraße des öfteren Streit gegeben habe, ist am Montag durch die Aussage des Sozialpädagogen Roman Schick einmal mehr widerlegt worden. Der Zeuge, der als Angestellter des Diakonischen Werkes in der Flüchtlingsunterkunft gearbeitet hat, sagte vor dem Landgericht, es habe »keine schwerwiegenden Differenzen« unter den Hausbewohnern gegeben. Zwar sei es ab und an zu Spannungen gekommen, Feindschaft habe er jedoch nie festgestellt. Insbesondere den Angeklagten Safwan Eid habe er als »besonnenen, vernünftigen und intelligenten Menschen« kennengelernt. Schick: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Safwan das Feuer gelegt hat.«
Die Staatsanwaltschaft wirft Safwan Eid vor, das Feuer im ersten Stock des Flüchtlingsheims gelegt zu haben, um sich wegen eines Streits mit einem anderen Hausbewohner zu rächen. Durch den Brand waren am 18. Januar 1996 zehn Menschen getötet worden.
Vor der Vernehmung Roman Schicks hatte die Rechtsanwältin des Angeklagten Barbara Klawitter kritisiert, daß der Zeuge erst vor wenigen Tagen nochmals von der Staatsanwaltschaft und der Polizei vernommen worden sei. Die Protokolle dieser Befragung stünden der Verteidigung bislang nicht zur Verfügung. Die außergerichtliche Vernehmung zeige, daß die Staatsanwaltschaft einen fortlaufenden Aufklärungsbedarf sehe, »den sie im Zuge der polizeilichen Ermittlungsarbeit vor dem Prozeß offensichtlich nicht sah«. Nun aber störe dieses Verhalten der Strafverfolgungsbehörde nachhaltig die gerichtliche Beweisaufnahme, sagte Klawitter, denn es verstoße »gegen die Rechtsgleichheit zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft«.
Zu Beginn der Verhandlung hatte Eids Rechtsanwältin Gabriele Heinecke erklärt, daß auch die Vernehmung des ehemaligen Hausbewohners William Munir letzten Mittwoch ergeben habe, daß das Feuer nicht im ersten Stock ausgebrochen sein kann. Monir hatte bei seiner Flucht aus dem Haus zwar dicken Rauch in der ersten Etage gesehen, jedoch kein Feuer. Außerdem, so Heinecke, habe Monir erklärt, er habe gesehen, wie Monika Mayamba-Bunga mit ihrem Kind auf dem Arm aus dem Obergeschoß des Hauses in den Tod gesprungen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei noch keine Polizei oder Feuerwehr vor Ort gewesen.
Einer der ursprünglich wegen des Verdachts der Brandstiftung festgenommenen rechtsradikalen Jugendlichen aus Grevesmühlen habe in seiner polizeilichen Vernehmung ebenfalls angegeben, er habe eine Frau mit Kind aus einem Fenster springen sehen. Diese Aussage belege, daß die Grevesmühlener Jugendlichen schon vor der Polizei am Tatort gewesen sein müssen.
Christian Eggerts, Lübeck