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Wed Jun 18 06:54:50 1997
 

junge Welt, Dienstag,11. Februar 1997, Nr. 35, Seite 5, inland

>> Überlebender des Lübecker Brandes im Kreuzverhör

> Zimmergenosse des in den Flammen gestorbenen Sylvio Amossou bestätigt Theorie der Verteidigung

Im Prozeß um den Brand in einem Lübecker Flüchtlingsheim hat der 14jährige Ray Sossou die Theorie der Verteidigung, wonach das Feuer im hölzernen Vorbau des Hauses ausgebrochen ist, bestätigt. Er sei in der Nacht zum 18. Januar vergangenen Jahres gegen 3.15 Uhr von seinem Zimmergenossen Sylvio Amossou mit den Worten »Feuer, Feuer« geweckt worden, sagte der Junge am Montag vor dem Landgericht in Lübeck. Anschließend seien sie in der ersten Etage, wo sie wohnten, gemeinsam in das Treppenhaus gegangen. Dort sei nur dicker Rauch gewesen, kein Feuer, betonte Sossou. Amossou sei dann die Treppe zum Vorbau hinuntergegangen.

Er selbst sei nur zwei oder drei Stufen hinterhergegangen, habe dann unten Flammen gesehen und sei zurückgelaufen, um seine Mutter zu warnen. Weil die schon wach gewesen sei, sei er dann in den Waschraum gegangen und dort aus dem Fenster gesprungen.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Libanesen Safwan Eid vor, er habe gemeinsam mit anderen bislang unbekannten Tätern das Feuer im ersten Stock des Flüchtlingsheims gelegt, um sich wegen eines Streits mit anderen Hausbewohnern zu rächen.

Die Verteidigung geht demgegenüber von einer Brandstiftung von außen im hölzernen Vorbau des Hauses aus. Bei dem Brand waren zehn Menschen getötet worden. Nachdem er zurückgelaufen sei, habe er Sylvio Amossou nicht mehr gesehen, sagte Sossou. Amossous stark verkohlte Leiche wurde später in dem Vorbau gefunden.

Die Anklagevertreter hatten bei früheren Zeugenvernehmungen immer wieder anklingen lassen, daß Ray Sossou möglicherweise gemeinsam mit Safwan Eid das Feuer gelegt habe. Doch die Indizien für diese Vermutung müssen Staatsanwalt Michael Böckenhauer und seinem Kollegen Axel Bieler am Montag verlorengegangen sei. So fragten sie den Jungen immer wieder nach Details, deren Zusammenhang mit dem Geschehen kaum noch ersichtlich ist. Ob Ray, als er in der Brandnacht gegen 3.00 Uhr nach eigenen Angaben zur Toilette gegangen ist, die Klo- Spülung betätigt habe, wollte Böckenhauer von dem Jungen wissen. Sein Kollege Bieler fragte, ob Ray wohl gelacht habe, nachdem er sich gerettet hatte.

Der 14jährige parierte alle Fragen der Staatsanwaltschaft und ließ seine Glaubwürdigkeit auch nicht durch Vorhaltungen aus den Protokollen seiner polizeilichen Vernehmungen erschüttern. Auf Nachfrage von Safwan Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke stellte sich heraus, daß der Junge in den Tagen nach dem Feuer im Krankenhaus mehrmals von Polizisten verhört und sogar fotografiert worden ist, ohne daß die Sicherheitskräfte eine Begründung für diese Maßnahmen abgegeben hätten. Später lauerte ihm sogar ein Polizist vor der Schule auf und sagte: »Du weißt, wer das Feuer gelegt hat!«

Aus der Tatsache, daß das Feuer und die entsetzlichen Begleitumstände gerade für einen 13jährigen Jungen ein schwerer Schock gewesen sein müssen, machten sich die Staatsanwälte mit ihrer knapp dreistündigen Nachfragerei bei der Vernehmung vor dem Gericht einen fröhlichen Montagvormittag. Ein Opfer der Brandkatastrophe stand am Pranger, weil seine Aussagen nicht ins Bild der Strafverfolgungsbehörde paßten.

Christian Eggers