junge Welt, Freitag, 28. Februar 1997, Nr. 50, Seite 4, inland
Seit rund fünf Monaten läuft vor dem Lübecker Landgericht die Hauptverhandlung gegen Safwan Eid, dem vorgeworfen wird, für den Anschlag auf das Flüchtlingsheim in der Hansestadt am 18. Januar 1996 verantwortlich zu sein. Doch immer noch läßt die Staatsanwaltschaft polizeilich ermitteln. Am Mittwoch wies Staatsanwalt Michael Böckenhauer einen Antrag der Verteidigung zurück, nach dem diese Ermittlungen eingestellt werden sollen.
Safwan Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke hatte das Gericht am Montag aufgefordert, die andauernde umfangreiche Ermittlungsarbeit zu unterbinden, da die Beweisaufnahme Sache der Hauptverhandlung sei. Zudem sollten Beweismittel - Zeugenaussagen von Feuerwehrleuten und Nachbarn des abgebrannten Flüchtlingsheims - bei der Kriminalpolizei beschlagnahmt werden, da diese die Herausgabe verweigere.
Diese Aussagen müßten »noch abgearbeitet werden«, antwortete Böckenhauer am Mittwoch. Der Verteidigung scheine es darum zu gehen, »die Ermittlungen propagandistisch zu denunzieren«. Die Arbeit sei aber notwendig, da sie neue Erkenntnisse liefern könnte. Insbesondere Ermittlungen beim Lübecker Sozialamt über die Ablehnung des von der Familie des Angeklagten vor dem Anschlag geäußerten Wunsches nach einem Wohnungswechsel seien noch notwendig, weil das Amt bislang »eine Amtshilfe verweigert«. Die Aufklärung dieser Frage könne jedoch Aufschlüsse über »ein multifaktorielles Motiv« Safwan Eids für die Brandstiftung geben, betonte der Staatsanwalt.
Bislang hatte die Staatsanwaltschaft als einziges mögliches Motiv des Angeklagten einen Streit mit einem anderen Bewohner des Flüchtlingsheims unterstellt. Der Angeklagte erklärt dagegen seine Unschuld und geht von einem neonazistischen Anschlag als Brandursache aus. Rechtsanwältin Heinecke erwiderte auf die Erklärung der Staatsanwaltschaft, die These Böckenhauers, wonach weitere Ermittlungen nötig seien, sei eine Schutzbehauptung für unterlassene Arbeit im Laufe des gesamten Verfahrens. Durch die Rede von einem »multifaktoriellen Motiv« des Angeklagten gebe sich die Staatsanwaltschaft endgültig der Lächerlichkeit preis.
Christian Eggers, Lübeck