junge Welt, Donnerstag, 13. März 1997, Nr. 61, Seite 6, inland
Als Rainer Könneke Anfang der achtziger Jahre vom Bundesministerium für Forschung und Technik die Aufgabe bekam, ein Brandsimulationsprogramm zu entwickeln, hatte er wohl zu hohe Erwartungen an die Fähigkeiten seiner Auftraggeber. Am Mittwoch kritisierte der Entwickler von Cobra 3D die Anwender seines Programmes - das Bundeskriminalamt - im Lübecker Brandprozeß. Das Szenario, das die Wiesbadener Behörde vom Verlauf des Feuers in der Flüchtlingsunterkunft der Hansestadt auf der Grundlage von Cobra 3D gezeichnet habe, sei doch äußerst »erklärungsbedürftig«.
Das BKA hatte entsprechend den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft den Ausbruch des Brandes im ersten Stock des Gebäudes ausgemacht und damit einen Brandanschlag von außen ausgeschlossen. Könneke hingegen, der gemeinsam mit dem Brandschutzexperten Ernst Achilles eine eigene Untersuchung des Falles vorgenommen hat, kommt zu einem anderen Ergebnis: Selbst 15 Minuten nach Ausbruch des Feuers wäre es unwahrscheinlich gewesen, daß sich der Brand vom ersten Stockwerk massiv auf den hölzernen Vorbau im Erdgeschoß hätte ausbreiten können. Vor diesem Zeitpunkt stand der Vorbau nach Aussagen von Feuerwehrleuten aber schon in Flammen.
Könneke hatte bereits in einer allgemeinen Einführung am Montag erklärt, bei einer Brandlegung im oberen Stockwerk sei von einer »großen Einwirkung« im Erdgeschoß ohnehin nicht auszugehen. Zudem, ergänzte der Physiker am Mittwoch, sei sehr viel Wärmeenergie durch das geöffnete Fenster der Hausbewohnerin Kate Davidson verlorengegangen, was eine Ausbreitung nach unten noch unwahrscheinlicher mache. Im Vorbau hingegen hätte sich durch »Windströmungseffekte« eine wesentlich stärkere Hitze des Brandes entwickeln können.
Die Ankläger nehmen an, daß sich der Vorbau durch herabstürzende Teile der Treppe entzündet hat. Allerdings gaben Feuerwehrleute vor Gericht an, solche Teile nicht gesehen zu haben, als der Vorbau bereits in Flammen stand. Auch Könneke hält dies für unwahrscheinlich. Die Angaben des Sachverständigen stützen die These der Verteidigung Safwan Eids, den die Ermittler für den Brand am 18. Januar vergangenen Jahres verantwortlich machen. Die Rechtsanwältinnen gehen davon aus, daß der Brand von außen gelegt wurde und schließen einen rechtsradikalen Hintergrund nicht aus.
Entsprechend scharf reagierten am Mittwoch die Ankläger. Nicht Könneke, aber dessen Kollege Achilles wurde zur Zielscheibe aggressiver Nachfragen. Der Frankfurter Sachverständige hatte sich wenige Wochen nach dem Brand im WDR-Magazin Monitor vorsichtig kritisch zum von der Staatsanwaltschaft entwickelten Brand-Szenario geäußert. Ihm sei aufgefallen, daß Achilles sehr häufig Stellungnahmen zu Bränden abgegeben habe, so Böckenhauer, der damit die Kompetenz des Experten in Frage stellen wollte. Achilles reagierte gereizt: »Ich habe von Ihnen im Focus gelesen, die Ergebnisse der Computersimulation mit Cobra 3D schließen eindeutig einen Ausbruch des Brandes im Vorbau aus.«
Wolf-Dieter Vogel, Lübeck