junge Welt, Donnerstag, 20. März 1997, Nr. 67, Seite 6, inland
Haftzellen sind keine Wohnungen. Wenn man also Gespräche von Gefangenen mit ihrem Besuch abhört, so folgerte der Lübecker Staatsanwalt Michael Böckenhauer, sei dies rechtlich zulässig. Der Ankläger beantragte am Mittwoch vor dem Landgericht der Hansestadt, Aufzeichnungen von Gesprächen des Angeklagten Safwan Eid mit dessen Angehörigen im Verfahren heranzuziehen. Der Libanese habe während dieser Besuche ein Schuldeingeständnis gemacht. Zudem werde in den Protokollen deutlich, daß die ehemaligen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft ihre Aussagen abgesprochen hätten, um Eid zu schützen.
Der Staatsanwalt bezog sich mit diesem Vorwurf insbesondere auf einen Satz, den der Bruder von Safwan, Bilal Eid, geäußert haben soll: »Ich habe sie alle zum Schweigen gebracht«. Wie er dies getan haben soll, bleibt das Geheimnis der Ankläger. Bilal Eid lebt im Libanon und war nach Aussagen seines Bruders Mohammed erst am Abend vor dem Besuch angereist. Ohnehin ist die Rechtmäßigkeit der im Februar vergangenen Jahres angeordneten Abhöraktion umstritten. Deshalb hatte es das Gericht bereits vor einigen Wochen abgelehnt, die Protokolle heranzuziehen. Sätze, in denen der Angeklagte seine Unschuld beteuerte, fanden während der Ermittlungen bei Böckenhauer wenig Beachtung. Am Mittwoch nun erklärte er, warum: »Wer unschuldig ist, braucht sich nicht als unschuldig darzustellen«.
Wolf-Dieter Vogel