junge Welt, Mittwoch, 26. März 1997, Nr. 72, Seite 3, ansichten
K O M M E N T A R
Nein, man kann den Männern aus Grevesmühlen wirklich keinen Vorwurf machen. Die durchschnittlich rechtsradikalen Deutschen, die in der Nacht zum 18. Januar vergangenen Jahres heftig geschäftig, kreuz und quer durch Lübeck rasten und dann beim Betrachten der brennenden Flüchtlingsunterkunft vor der Hafenstraße 52 von der Polizei kontrolliert wurden, haben sich alle Mühe gegeben, den Verdacht der Täterschaft auf sich zu ziehen. Wenn jetzt bekannt wird, daß Maik W. im Dezember mal wieder nebenbei eingeräumt hat, am rassistischen Mord an zehn Menschen beteiligt gewesen zu sein, sagt er damit nichts Neues. Bereits vor dem Anschlag hat »Klein Adolf«, wie er sich gerne nennen läßt, angekündigt, er werde in Lübeck Feuer legen. Sein Kumpel Heiko P. hat wahrscheinlich zwei Wochen nach dem tödlichen Brand im Suff einem ehemaligen Arbeitskollegen ein Geständnis gemacht.
Warum auch hätten sich die Grevesmühlener Männer anders verhalten sollen? Der Kosmetik wegen? Nein, die vier können und konnten sich auf ihre Verteidigung, die Ankläger des Flüchtlings Safwan Eid, verlassen. Keine dieser Spuren hat die Lübecker Staatsanwaltschaft weiter verfolgt. Im Gegenteil: Hatten die Mecklenburger selbst schon keine Erklärung dafür, wie sie sich in der Tatnacht ihre Brandspuren zugezogen haben könnten, so sprang Staatsanwalt Michael Böckenhauer schnell in die Bresche. Die vier hätten ja vielleicht ein Auto abgefackelt, meinte er - eine auf Lügen gebaute Theorie, wie die gesamte Anklage gegen Safwan Eid jeglicher realen Grundlage entbehrt. Bereits der Verhaftung des Libanesen lag die falsche Behauptung zugrunde, der Hausbewohner Gustave Soussou habe der Polizei vom Streit mit Safwan berichtet. Wenn also nun die Staatsanwaltschaft öffentlich nichts von dem Geständnis »Klein Adolfs« gewußt haben will, um die Sache im Sande verlaufen zu lassen, hat diese Vorgehensweise nichts mit Fehlern, viel hingegen mit weiterem gezieltem Schutz für die Rechtsradikalen zu tun.
Nach über einem Jahr staatlicher Entlastungsbemühungen noch immer von schlampigen Ermittlungen zu sprechen, würde die Aufgabe der Ankläger verkennen. Was sich tatsächlich in der Nacht in Lübeck abgespielt hat, wissen nur wenige. Einer davon ist gewiß der Ankläger Böckenhauer. Und dieser muß nun endlich gezwungen werden, den Hintergrund seiner »Versäumnisse« öffentlich zu machen.
Wolf-Dieter Vogel