junge Welt, Donnerstag, 27. März 1997, Nr. 73, Seite 6, inland
Die Anhörung der Brandsachverständigen im Lübecker Brandprozeß, die mit dem Vortrag des BKA-Fachbereichsleiters für Raumbrände, Peter van Bebber, am Mittwoch zum vierten Mal einen Verhandlungstag füllte, wirkt bei oberflächlicher Betrachtung wie ein Nullsummenspiel. Dennoch kann die Verteidigung den Gutachter-Streit als Punktsieg verbuchen.
Nur wenn es der Staatsanwaltschaft gelungen wäre, zweifelsfrei nachzuweisen, daß das Feuer im ersten Stock des Hauses ausgebrochen sein muß, hätte sich die These halten lassen, daß nur HausbewohnerInnen und unter ihnen bevorzugt der Angeklagte Eid das eigene Heim angezündet haben müssen. Die Verteidigung hingegen muß nur Zweifel an der Anklage säen: Das ist nach dem Gutachter-Schlagabtausch, der auch die kommenden Verhandlungstage andauern wird, erneut allemal gelungen.
So mußte sich van Bebber am Mittwoch mehrfach auf kriminologische Schlußfolgerungen und die Interpretation von ZeugInnen zurückziehen, um seiner These vom Brandausbruch im Obergeschoß Nachdruck zu verleihen. Das aber ist kaum die Aufgabe eines Brandsachverständigen. Als Krönung seiner Ausführungen spekulierte der Sachverständige, auf dessen Ausführungen die Staatsanwaltschaft ihr Brand-Szenario stützt, gar über einen Brandherd am Eingang des Obergeschosses, der mehrere Meter von der Ausbruchsstelle liegt, auf die sich die Ankläger festgelegt haben. Doch auch, daß »das Zentrum des Brandes« überhaupt im ersten Stock war, ist für den Bundeskriminalbeamten nach eigenem Bekunden nur »naheliegend« - beweisen kann und will van Bebber nichts.
Nach den Gutachter-Anhörungen ist das Pflichtprogramm des Lübecker Brandprozesses endgültig abgearbeitet. Noch vor der geplanten Verhandlungspause könnte das Verfahren mit den Plädoyers und der Urteilsverkündung abgeschlossen werden. Die Verteidigerinnen haben längst signalisiert, daß sie auf die Ladung der Grevesmühlener Jugendlichen - die den Brand beobachtet und sich der Tat teilweise selbst bezichtigt haben - verzichten werden. Sie wollen ihrem Mandanten Safwan Eid nicht noch weitere Prozeßstrapazen zumuten.
Das Ankläger-Duo Michael Böckenhauer und Axel Bieler aber hat - wohl wissend, daß es bislang mit fast leeren Händen dasteht - bereits neue Beweisanträge gestellt, die geeignet sind, das Verfahren bis in den Sommer hinein auszudehnen. So sollen polizeiliche Vernehmungsbeamte bestätigen, daß verschiedene Ex-BewohnerInnen des abgebrannten Flüchtlingsheimes im Polizeiverhör nicht exakt dasselbe erzählt haben wie vor Gericht.
Doch auch diese Aussagen wären - vollen Erfolg im Sinne der Ankläger vorausgesetzt - nicht geeignet, den Nachweis zu erbringen, daß nur Safwan Eid das Feuer gelegt haben kann. Bleibt abzuwarten, ob Richter Rolf Wilcken ein Einsehen hat, und die Beweisanträge, die der Wahrheitsfindung kaum dienen können, ablehnt. Tut er es nicht, dürfte ein zunehmend sinnloser werdendes Verfahren noch lange Beschäftigungstherapie für alle Prozeßbeteiligten und die versammelten Medienvertreter bleiben.
Marco Carini, Lübeck