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junge Welt, Dienstag, 8. April 1997, Nr. 81, Titelseite / Seite 6 Inland

>> Lübecker Kripo im Streß

> Brandprozeß: Verteidigung will Tod von Amoussou untersuchen lassen

Eine »weitere Aufklärung« des Todes von Sylvio Amoussou forderte die Verteidigerin Safwan Eids, Gabriele Heinecke, am Montag im Lübecker Brandprozeß. Bei Fotografien der stark verkohlten Leiche sei deutlich ein Draht zu erkennen, der »um den Hals des Toten« gelegen habe, sagte die Rechtsanwältin vor dem Landgericht der Hansestadt. Mit Blick auf die jetzt bekanntgewordene Kripo-Informantentätigkeit der Freundin Amoussous bekommt die ungeklärte Todesursache des Flüchtlings in der Tat eine neue Bedeutung. Möglicherweise könnte er Opfer eines Anschlages aus der Drogen- oder Frauenhandel-Szene geworden sein. Auch die Rolle der Ermittlungsbeamten erscheint in einem neuen Licht.

Zunächst bestimmten jedoch auch am 49. Verhandlungstag die Gutachter-Szenarien vom Brandverlauf das Geschehen im Prozeß gegen Safwan Eid, dem die Ankläger vorwerfen, für das tödliche Feuer verantwortlich zu sein. Ein Gutachter des Bundeskriminalamtes (BKA) betonte, die Brandspuren im Vorbau hätten keinerlei Anhaltspunkte für die Verwendung von Brandbeschleunigern ergeben. Die tiefen Brandlöcher neben dem Eingang seien seiner Ansicht nach durch »abbrennendes Kunststoffmaterial der Tür« entstanden. Auf Nachfragen der Verteidigung räumte der BKA-Experte ein, daß er die Tür niemals untersucht und »im Original« auch niemals gesehen habe. Also alles »reine Vermutungen und Schlußfolgerungen«, wie Rechtsanwältin Heinecke wissen wollte? »Das ist richtig«, antwortete der BKA-Mann. Die Verteidigerin geht davon aus, daß der Brand im hölzernen Vorbau gelegt wurde und rechnet demnach mit einem Anschlag von außen.

Im Vorbau, wurde Amoussou tot aufgefunden - die für Brandopfer üblichen erhöhten Kohlenmonoxid-Werte konnten in seiner Lunge allerdings nicht festgestellt werden. Der von der Verteidigung beauftragte Gerichtsmediziner Wolfgang Bonte war deshalb zu dem Schluß gekommen, eine sehr plötzlich auftretende Stichflamme müsse den Tod verursacht haben.

Der Flüchtling aus Benin war eng mit Annegret G. befreundet, die für die Lübecker Kripo als V-Frau gearbeitet hatte. Nachdem ihre Zielpersonen aus der Drogen- und Frauenhandel- Szene ihre Informantentätigkeit spitzbekommen hatten, wurde Annegret G. mehrmals vergewaltigt und mit dem Tode bedroht. Obwohl - oder weil - zwei ihrer Angreifer deshalb im Dezember 1995 rechtskräftig verurteilt wurden, riß der Terror gegen die 29jährige nicht ab. Im Gegenteil: Unbekannte verübten zeitgleich zum Prozeß gegen die Vergewaltiger einen Brandanschlag auf die Wohnung der Frau, bei dem nur durch Zufall kein größerer Schaden entstand. Anfang Januar 1996, wenige Wochen vor dem Lübecker Brandanschlag, entdeckte Annegret G., daß jemand einen Hamster an die Wohnungstür genagelt hat. »Sylvio«, so berichtet sie dem Spiegel, »hat ihn dann abgemacht«. Möglicherweise sei ihr Freund damals durch sie gefährdet gewesen, räumt sie ein, dafür habe sich die Polizei allerdings nicht interessiert.

Die Informantin war bereits nach den ersten Angriffen aus Angst in eine andere Wohnung gezogen, deren Adresse neben ihrer Familie nur noch einer Stelle bekannt war: der Lübecker Kriminalpolizei. Dort waren insbesondere zwei Männer mit Annegret G. beschäftigt: die Kripo-Beamten Detfred Dörling und Immanuel Dzatkowski. Den beiden waren die Vergewaltigungen jedoch weniger von Interesse. Es wäre »blödsinnig, vor Gericht zu gehen« zitiert Frau G. ihre V- Führer. »Die wollten ihren Erfolg in der Drogensache nicht gefährden«, erklärt sie sich deren Verhalten. Dennoch strengte die Kripo-Informantin ein Verfahren wegen Strafvereitelung im Amt gegen Dörling und Dzatkowski ein. Die beiden wurden strafversetzt - und landeten bei der »Soko 1/96«, der Ermittlungskommission zum Lübecker Brandanschlag.

Dort spielten sie eine für den weiteren Verlauf des Verfahrens zentrale Rolle. Dörling hatte die Gelegenheit, unkontrolliert unter vier Augen den einzigen Zeugen der Anklage gegen Safwan Eid, den Sanitäter Jens Leonhardt, zu vernehmen. Leonhardt selbst verfügt, das legen Aussagen vor Gericht nahe, über persönliche Kontakte zur Kripo der Hansestadt. Dörling verhörte zudem die tatverdächtigen Grevesmühlener Männer. Die Geschichte von Annegret G. sei »bereits bekannt gewesen«, reagierten der Lübecker Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz und dessen Vorgesetzter, der schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Heinrich Wille jetzt unisono. Dennoch wurde die Frau nie als Zeugin im Prozeß geladen.

Wolf-DieterVogel/Christian Eggers, Lübeck