junge Welt, Donnerstag, 5. Juni 1997, Nr. 128, Seite 2, ansichten
F: Nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft im Prozeß um den Brand in der Lübecker Hafenstraße sieht alles danach aus, als ob der Angeklagte Safwan Eid freigesprochen wird.
Dazu kann ich nichts sagen, weil das Sache der Staatsanwaltschaft und des Gerichtes ist. Unsere Stadt hat bisher keine Akteneinsicht genommen, deshalb fehlt uns der Maßstab zur Beurteilung des Ganzen.
F: Nun gab es ja eine Reihe von »Ermittlungspannen« ...
Die Staatsanwaltschaft bestreitet, daß es Ermittlungspannen gegeben habe. Wir möchten uns nun auch nicht ausschließlich auf Presseberichte als Quelle stützen. Es ist für uns sehr schwer, das Verfahren zu beurteilen. Wir haben zudem keinem einzigen Prozeßtag beigewohnt. Auch der Bürgermeister nicht. Daher können wir schlecht objektiv beurteilen, wir mußten uns da auf Vermutungen verlassen. Und das wollen wir nicht.
F: Warum hat ein Vertreter der Stadt Lübeck nie der Verhandlung beigesessen, obwohl der Prozeß ja auch bundesweit eine große Beachtung gefunden hat?
Da sind ja unheimlich viele Verhandlungstage gewesen. Am Anfang gab es ja sogar eine Limitierung der Sitzplätze, und wenn sich ein Verfahren über so lange Zeit hinstreckt, können wir da unmöglich jemanden zur Beobachtung hinsetzen, der das ständig beoachtet. Einerseits haben wir dafür auch die Presse und zum anderen warten wir den Prozeß in Ruhe ab. Aber insgesamt haben wir als Hansestadt natürlich ein großes Interesse an der Aufklärung der Hintergründe des Brandes in der Hafenstraße und auch anderer Dinge in Lübeck. Auch der zweite Brand der Synagoge und jetzt auch der Brand der St.-Vicelin-Kirche. Wenn es jetzt zu einem Freispruch kommt, dann bedauern wir das deshalb nicht, weil wir Safwan Eid als Täter sehen. Wir fänden es sehr schlimm, wenn es zu keiner Aufklärung käme.
F: Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage lediglich auf die Aussage des Rettungssanitäters Jens L. und hat gleichzeitig die Spuren nach Grevesmühlen nicht zur Genüge verfolgt.
Das ist eine Bewertung, die wir so nicht teilen. Wir gehen davon aus, daß die Staatsanwaltschaft ein erhebliches Interesse daran hat aufzuklären. Für Lübeck ist es nicht gut, wenn die Fälle nicht aufgeklärt werden. Das ist auch für weitere Folgetäter nicht gut. Und deshalb war es schon ganz gut, daß der erste Synagogenanschlag relativ schnell aufgeklärt werden konnte. Nur: Wir haben jetzt eine vermeintliche Kette von rechtsradikalen Anschlägen, und da ist es schlimm, nicht zu wissen, ob die Brände in der Hafenstraße, der zweite Synanogenanschlag und in der St.- Vicelin-Kirche, tatsächlich einen rechtsradikalen Hintergrund haben.
F: Ist das nicht auch - ein wenig zumindest - peinlich für Lübeck?
Peinlich? Merkwürdig wäre, wenn wir uns in den Prozeß einmischten, was wir ja auf keinen Fall wollen. Wir haben großes Vertrauen zu den Ermittlungsbehörden.
F: Trotz offensichtlicher Versäumnisse von seiten der Ermittlungsbehörden?
In allen Prozessen tauchen Fehler auf. Gerade wenn ein ganzes Gebäude vom Feuer zerstört ist. Ob das mit den Grevesmühlener Jugendlichen eine Ermittlungspanne ist, weiß ich nicht. Im Verfahren wurde immer gesagt, daß ein hinreichendes Alibi vorhanden sei.
F: Lübeck ist in den Schlagzeilen. Zunächst brannte eine Synagoge, ein Asylbewerberheim und nun eine Kirche.
Es ist für uns natürlich nicht gut, wenn wir bundesweit oder weltweit immer mit solchen Schlagzeilen in Zusammenhang gebracht werden. Aber Lübeck ist auch bekannt dafür, daß es etwa tut. Ich will es nicht übertreiben - in Lübeck haben die Rechtsradikalen weiß Gott keine Basis und können hier auch nicht offen auftreten. Die Frage, warum es so oft in Lübeck brennt, können wir auch nicht beantworten. Die Polizei vermutet im Augenblick, Lübeck soll zu einem attraktiven Punkt für solche Anschläge gemacht werden. Wir sind die einzige Stadt in Schleswig- Holstein, die eine Synagoge hat. Der erste Synagogenbrand hat nach Aussagen von Psychologen ein gewisses Tabu gebrochen. Lübeck hat ein ganzes Bündel von Maßnahmen gestartet, um der rechtsradikalen Basis ihren Zulauf zu unterbinden. Heutzutage erreichen sie nirgendwo auf der Welt außer in Lübeck mit einer solchen Tat eine solche Aufmerksamkeit - bundes- und weltweit. Weil alles immer wieder auf Lübeck schaut.
Interview: Ulrike Schulz
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