junge Welt, Mittwoch, 18. Juni 1997, Nr. 139, Seite 4, politik
Der Prozeß gegen den Libanesen Safwan Eid vor der Jugendstrafkammer des Lübecker Landgerichts nähert sich seinem Ende. Am heutigen Mittwoch hält die Verteidigung ihre Plädoyers. Für Ende dieses Monats wird das Urteil erwartet. Schon vor Wochen hatte Richter Rolf Wilcken einen Freispruch angedeutet, da es keine hinreichenden Beweise gegen Eid gebe.
Damit wird der Prozeß nach etwa neun Monaten abgeschlossen. Die Brandstiftung vom 18. Januar 1996 selbst, durch die in einem Lübecker Asylbewerberheim zehn Menschen starben und 38 verletzt wurden, bleibt unaufgeklärt. Klar ist nur: Safwan Eid war es nicht. Die Staatsanwaltschaft hatte mühsam versucht, ihn als Schuldigen zu präsentieren. Aber schon zu Prozeßbeginn blieb von der ursprünglichen Anklage wegen Mordes nur die wegen schwerer Brandstiftung und fahrlässiger Körperverletzung übrig. Staatsanwalt Michael Böckenhauer ließ sich trotz aller offensichtlichen Ermittlungsfehler, unzureichenden Beweise und sprachlichen Probleme bei der Zeugenvernehmung bis zum Ende nicht von seiner Version abbringen. Die Aussage eines Sanitäters, der von Eid in der Brandnacht ein Geständnis gehört haben will, reichte ihm. Da er für die Schuld Eids jedoch keine Beweise erbringen konnte, schlug er bei seinem Plädoyer am 4. Juni vor, den Libanesen »in dubio pro reo« (im Zeifel für den Angeklagten) freizusprechen. Aber nicht, ohne noch einmal die eigene Version zu wiederholen und der Verteidigung zu widersprechen, die wissen wollte, ob er seine Niederlage zugebe.
Auch die meisten Anwälte der Nebenkläger plädierten in der vergangenen Woche für einen Freispruch. Nur einer wollte, daß der angeklagte Libanese »wegen psychischer Beihilfe« verurteilt werde. Eid sei zwar nicht der Täter, wisse aber, wer das Feuer gelegt habe, zitierte die taz den Anwalt. Die Nebenkläger kritisierten Staatsanwalt Böckenhauer, der immer wieder versucht habe, Opfer zu Tätern zu machen. Eine Rechtsanwältin verwies wie die Verteidigung auf die »zahlreichen Spuren, die nach Grevesmühlen weisen«. Von dort stammen die in der Brandnacht nahe des Asylbewerberheimes gesehenen und kurz darauf ursprünglich festgenommenen drei rechtsradikalen Jugendlichen.
Für Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke sind sie trotz ihrer vermeintlich wasserdichten Alibis die wirklichen Tatverdächtigen. Gerichtssachverständige hatten im April die versengten Haare der Jugendlichen als »typisch« bei Brandstiftern, die sogenannte Brandbeschleuniger einsetzen, bezeichnet. Allerdings seien die Haarproben inzwischen nicht mehr auffindbar. Staatsanwalt Böckenhauer hatte wegen der angeblich sicheren Alibis die Spur zu den Jugendlichen schnell als unerheblich aufgegeben. Er nahm sie auch nicht auf, als einer von ihnen sich laut Zeitungsberichten im März bei einem Ladendiebstahl mit dem Brandanschlag brüstete. Erst Monate später kümmerte sich der Staatsanwalt wieder darum. Zu spät und mit dem Ergebnis, daß Beweismittel nicht mehr vorhanden sind. Zwei der Jugendlichen wurden im April in Lübeck verurteilt - wegen besonders schweren Diebstahls.
Tilo Gräser