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junge Welt Politik
30.06.1997

Im Zweifel gegen den Angeklagten

Freispruch Safwan Eids könnte den Anklägern einen Revisionsprozeß ermöglichen



Das für heute erwartete Urteil im Prozeß nach der Lübecker Brandkatastrophe in einem Flüchtlingswohnheim ist der Schlußakt eines seit September vergangenen Jahres laufenden Gerichtsdramas. Wenn die Verteidigung wie auch die Staatsanwalt Freispruch für den angeklagten Safwan Eid fordern, tun sie dies aus unterschiedlichen Gründen. Die Rechtsanwältinnen Gabriele Heinecke und Barabara Klawitter sind von der Unschuld ihres Mandanten überzeugt. Sie sehen die Konstruktion als widerlegt an, die dem Libanesen vorwirft, am 18. Januar 1996 das Feuer in dem Heim gelegt zu haben, im dem zehn Menschen verbrannten und 38 zum Teil schwer verletzt wurden. Die Ankläger Michael Böckenhauer und Axel Bieler spekulieren dagegen auf eine Fortsetzung in höherer Instanz. »Ein Freispruch ist für uns keine Niederlage«, verkündeten sie schon vorab. Die Wahrheit, die in dem Strafverfahren vor der Jugendkammer des Landgerichts herausgearbeitet wurde, sei eben nicht mit der tatsächlichen Wahrheit identisch.

Damit wäre erneut Safwan Eid im Visier des Mordverdachts, selbst wenn er nach dem Motto in dubio pro reo (Im Zweifel für den Angeklagten) heute den Gerichtssaal als freier Mann verläßt. Gänzlich ungeschoren blieben die vier Grevesmühlener Rechtsradikalen, die in der Tatnacht in der Nähe des Brandorts gesehen wurden. Vergeblich hatten Eids Anwältinnen auf die Möglichkeit einer rassistisch motivierten Tat hingewiesen - ein Schluß, der gerade auch nach den jüngsten Brandanschlägen auf Lübecker Kirchen naheliegt. Statt dessen landete mit Safwan Eid einer der Heimbewohner selbst auf der Anklagebank.

Schlampige Ermittlungen der Polizei hatten viele Fragen offengelassen. Rätselhaft blieb bis zuletzt der Tod eines Hausbewohners, dessen Leiche ohne Rauchvergiftung im Vorbau der Brandruine gefunden wurde. Mehr als 100 Zeugen wurden vernommen, darunter ein Sanitäter, der behauptete, das Geständnis Safwan Eids »Wir warn's« und Details der Brandstiftung gehört zu haben.

Zu den Beweismitteln, die Richter Rolf Wilcken mit gutem Grund nicht zuließ, gehörten rechtswidrige Abhörprotokolle von Gesprächen Safwan Eids mit Besuchern während der Untersuchungshaft. Der Angeklagte soll sich auf den Tonbandaufnahmen selbst belastet haben. Ausgerechnet diese Protokolle wollen die Staatsanwälte zum Anlaß eines Revisionsverfahren machen.

Leif Allendorf