junge Welt | Titel |
01.07.1997 |
Freispruch für Safwan Eid |
Prozeß zum Brandanschlag auf Lübecker Flüchtlingsheim beendet |
Der Prozeß gegen Safwan Eid vor dem Lübecker
Landgericht endete Montag vormittag wie erwartet mit
einem Freispruch. Das Gericht sah es nicht als erwiesen
an, daß der junge Libanese am 18. Januar vergangenen
Jahres den Brand in einem Flüchtlingsheim der Hansestadt
gelegt hatte, bei dem zehn Menschen ums Leben gekommen
waren. Vor allem fehlte es dem Vorsitzenden Richter Rolf
Wilcken an einem Motiv. »Kann man sich vorstellen«,
fragte er in seiner Urteilsbegründung, »daß ein junger
Mann ein Haus anzündet, in dem Eltern und Geschwister
schlafen und sich selbst ins Dachgeschoß flüchtet?«
Beweise dafür, daß Streit im Haus Auslöser der Tat
gewesen sein könnte, sah Wilcken »nicht einmal im
Ansatz«. Die Staatsanwaltschaft habe versucht, mit
peinlichen Zeugenbefragungen und den Verhören von
Kindern ein solches Motiv zu konstruieren. Auch in der Frage, wo das Feuer ausgebrochen ist, mochte das Gericht den Anklägern nicht vollständig folgen. Während die Staatsanwaltschaft bis zum Schluß davon ausging, daß Feuer sei im ersten Stock gelegt worden, spricht die Kammer von »zwei primären Brandherden«. Der zweite sei im hölzernen Anbau zu suchen. Zwar seien dort nach Auffassung des Gerichts Fenster und Türen verschlossen gewesen, doch könne nicht mehr ermittelt werden, ob eventuell die Scheiben eingeschlagen worden waren. Schuld hieran sei die schlampige Spurensicherung. Die Ermittler hatten den Schutt aus dem Anbau einfach zusammengefegt, ohne ihn vorher ausreichend zu analysieren. Nebenklagevertreter Jan Mohr sieht darin einen Ansatz, weitere Ermittlungen zu fordern. Mit dieser Lesart sei es nach wie vor möglich, daß der Brand von Außenstehenden gelegt wurde. Das Gericht stellte in seinem Urteil noch einmal klar, daß es sich um Brandstiftung gehandelt habe. Nur sei der Zeitpunkt nicht mehr feststellbar. Damit fällt auch endgültig das Alibi der vier zunächst verdächtigten Jugendlichen aus Grevesmühlen. Sie waren am Tag nach der Katastrophe festgenommen, aber schon bald wieder auf freien Fuß gesetzt worden, obwohl sie frische Sengspuren an den Haaren aufwiesen. Die Staatsanwaltschaft hatte sich statt dessen in ihren Ermittlungen ganz auf den jetzt freigesprochenen Libanesen Eid konzentriert. Das hatte ihr herbe Vorwürfe eingebracht. Das Lübecker Bündnis gegen Rassismus sprach von rassistischen Ermittlungen. Auf einer Pressekonferenz nach der Urteilsverkündung meinte Holger Wulf vom Bündnis, »Staatsanwalt Böckenhauer hat mit seinen Frage- und Ermittlungsmethoden gezeigt, wie berechtigt dieser Vorwurf ist«. Folgerichtig forderten die Lübecker Antirassisten vor dem Gerichtsgebäude mit einem großen Transparent die Amtsenthebung Böckenhauers. Staatsanwalt Böckenhauer hielt sich gegenüber der Presse die Möglichkeit einer Revision offen. Gabriele Heinecke, Verteidigerin Safwan Eids, sieht dem gelassen entgegen. So wie sich die Staatsanwaltschaft verhalten habe, müsse sie das Urteil einfach anfechten. In Lübeck wird es am Sonnabend um 12 Uhr auf dem Rathausmarkt eine Demonstration geben, um das Bleiberecht für die Opfer und unabhängige Untersuchungen der Vorgänge bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu fordern. Wolfgang Pomrehn(Siehe auch den folgenden Hintergrund und die anschließend dokumentierte Erklärung von Überlebenden des Brandanschlags) |