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junge Welt Politik
03.07.1997

Überlebenden droht Abschiebung

Noch immer keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis für die Opfer des Lübecker Brandanschlages



Können die 39 Überlebenden des Brandanschlages auf das Lübecker Asylbewerberheim vom 18. Januar 1996 nach dem Freispruch von Safwan Eid in der Bundesrepublik bleiben? Oder werden sie, wie schon ein Nigerianer aus der Gruppe, abgeschoben? Ihre Einzelanträge auf Asyl wurden abgelehnt. Für die Zeit des Prozesses erhielten sie eine gemeinsame Aufenthaltsduldung. Eine Chance haben sie nur, wenn sie eine sogenannte Aufenthaltsbefugnis als Gruppe aus »humanitären Gründen« bekommen.

Die Überlebenden fordern einen »unbefristeten und gesicherten Aufenthalt«. Das Lübecker Bündnis gegen Rassismus unterstützt sie dabei und will Widerstand leisten, sollten Safwan Eid, Kate Davidsson aus Liberia, Jean-Daniel Makodila, Kibolo Katuta, beide aus dem ehemaligen Zaire, und die anderen doch abgeschoben werden. Mehr als 4 000 Unterschriften wurden schon für ihr Bleiberecht gesammelt. Unterstützung kommt auch von der bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten Angelika Beer. »Es wäre zutiefst inhuman, die Überlebenden der Brandnacht nun auf kaltem Wege abzuschieben«, erklärte sie nach dem Freispruch vom Montag. Die Stadtverwaltung von Lübeck unter SPD-

Bürgermeister Michael Bouteiller bemüht sich seit dem Anschlag darum, daß die Überlebenden bleiben können.

Bouteiller wurde deshalb schon vom Innenminister Schleswig-Holsteins, Ekkehard Wienholtz (SPD), mit einer Disziplinarstrafe belegt. Er hatte zwei Angehörigen der Toten des Anschlages Reisedokumente und Aufenthaltsgenehmigungen ausgestellt, damit sie in ihren Heimatländern ihre Opfer bestatten und danach zurückkehren können.

Formal ist Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) für das Bleiberecht der Opfer des Brandanschlags zuständig. Nach Paragraph 32 des Ausländergesetzes kann das Innenministerium von Schleswig-Holstein zwar den Überlebenden von Lübeck eine Aufenthaltsbefugnis als Gruppe erteilen, aber nicht ohne das »Einvernehmen« aus Bonn. Doch das dürfte von Kanther als oberstem Abschieber nicht zu erwarten sein. Es sieht so aus, als ob in Bonn darauf gewartet wird, daß entweder das Kieler Innenministerium aktiv wird oder die Stadt Lübeck etwas tut. Und als werde die getroffene Regelung dann akzeptiert. Diesen Eindruck hatte die Bündnisgrüne Beer nach einem Gespräch mit Kanther im April.

Auch Holger Walter, persönlicher Referent von Lübecks Bürgermeister, rechnet damit. Er sieht ebenfalls das Land in der Pflicht. Doch im Kieler Innenministerium heißt es nur, daß Kanther entscheiden müsse. Es gebe keinen »akuten Handlungsbedarf«, erklärte eine Sprecherin gegenüber junge Welt. Allerdings werde niemand aus der Gruppe abgeschoben, bis eine Entscheidung getroffen sei. Auf die Forderung von Stadt und Bündnis gegen Rassismus, doch politische Courage zu beweisen und ohne Kanthers Zustimmung den Überlebenden ein Bleiberecht zu gewähren, hieß es: »Sie erwarten doch nicht, daß sich das Innenministerium rechtswidrig verhält.«

So bleibt der Eindruck, daß die Verantwortlichen das Problem aussitzen wollen. Keiner traut sich zu entscheiden, aber genauso wenig die Überlebenden aus der Bundesrepublik abzuschieben. Für Bouteiller-Referent Walter geht es darum, daß alle Seiten ihr Gesicht wahren wollen. Er hält eine politische Entscheidung für notwendig und setzt auf Ministerpräsidentin Heide Simonis. Die Bundestagsabgeordnete Beer will den Druck über die beiden bündnisgrünen Minister im Kabinett von Schleswig-Holstein verstärken.

Unterdessen warten die Überlebenden weiter auf eine endgültige Regelung. Die Politiker sind in der Sommerpause.

Tilo Gräser