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junge Welt Interview

25.01.1998

»Die Spurenvernichtung trägt geradezu systematische Züge«

Interview mit Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, der Verteidigerin des Libanesen Safwan Eid im Lübecker Brandprozeß

*** In der Nacht vom 17. zum 18. Januar 1996 um 3.42 Uhr geht bei der Lübecker Feuerwehr ein Notruf ein. Die Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße 52 brennt. Die Folgen sind bekannt: Zehn Menschen starben in den Flammen, 38 Menschen wurden teilweise schwer verletzt.***

F: Der Brandanschlag gegen die Flüchtlinge in der Lübecker Hafenstraße liegt nun zwei Jahre zurück. Was läßt sich deiner Meinung nach, als Safwans Verteidigerin, im nachhinein zu den Ereignissen sagen?

Die justizielle und mediale Bewältigung des Brandes in der Lübecker Hafenstraße hat die Republik weiter verändert.
Safwan Eid ist freigesprochen worden. Aber seit Januar 1996 geht anläßlich der Brände in Ausländerwohnheimen - sie sind häufig - der Blick stets zuerst zu den Hausbewohnern.
Daß ein rechtsradikaler Hintergrund ausgeschlossen wird, liest man schon in den Zeitungen, ehe die Ermittlungen so recht in Gang gekommen sind. Und wie inzwischen schon selbstverständlich, trifft nach Stunden oder Tagen die von allen erwartete Nachricht der Polizei ein: Es war ein Familienvater, ein Hausbewohner oder ein verschmähter ausländischer Liebhaber. Der Ausländer ist halt so. Kaum jemand geht mehr auf die Straße, wenn wieder ein Ausländerheim brennt.
Gerade bei den Verfahren, bei denen es um Anschläge auf Ausländerwohnungen geht, kommt es immer wieder zu erstaunlichen Ermittlungspannen, ob in Stuttgart, Solingen, Hattingen, Erbendorf oder Lübeck. Da fragt man sich: Warum? Es hinterläßt den Eindruck von Systematik. Es scheint die neue Linie zu sein, die dem nationalen Interesse dient. Denn die Ursache der aufkommenden Barbarei scheinen so die Ausländer selbst zu sein. Safwan Eid ist frei, aber die Täter auch.

F: Gibt es neue Erkenntnisse über die Nacht zum 18. Januar 1996, über den Tathergang, den Tod von Sylvio Amoussoo, über die Grevesmühlener und ihre Alibis?

Während des Prozesses gab es weitere Erkenntnisse, unter anderem ein Geständnis des Grevesmühlener Jugendlichen, der sich »Klein-Adolf« nennen läßt. Im Dezember 1996 hatte er einem Jugendlichen aus Güstrow erklärt, er sei bei dem Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Lübeck dabeigewesen. Die Spur wurde von der Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt mit der Begründung, »Klein-Adolf« habe für den Brand gegenüber dem Zeugen ein unzutreffendes Datum angegeben. Es handele sich daher nicht um ein glaubhaftes Geständnis.
Seit Beendigung des Prozesses gegen Safwan Eid am 30. Juni 1997 gab es meines Wissens keine neuen Ermittlungen mehr und schon gar keine in die Richtung der Personen, die die typischen Brandlegerspuren aufwiesen - die Grevesmühlener. Zwar gab es eine gewisse Bewegung beim Justiz- und Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein, nachdem das Gericht in der mündlichen Urteilsbegründung erklärt hatte, die Ermittlungen hätten nicht immer das Maß an zu fordernder Gründlichkeit erreicht, aber seit Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung behaupten die Ministerien, das Gericht stimme in der tatsächlichen und rechtlichen Bewertung des Sachverhalts zu den entscheidenden Punkten mit der Bewertung der Staatsanwaltschaft überein. Jeglicher Vorwurf gegenüber der Staatsanwaltschaft sei verfehlt.

F: Das Haus in der Lübecker Hafenstraße wurde Ende letzten Jahres abgerissen. Was bedeutet die Beseitigung der Brandruine für die sogenannte juristische Wahrheitsfindung?

Der Abriß des Hauses bedeutet für die Wahrheitsfindung nicht viel. Denn die Spurenvernichtung fand viel früher statt. Alles, was auf einen Brandanschlag von außen hätte hindeuten können, wurde nicht gesichert oder vernichtet, weil bereits feststand, wer der Täter sein sollte.
Zu Lasten von Safwan Eid wurde angebliches »Täterwissen« erfunden, das öffentlichkeitswirksam die Inhaftierung rechtfertigen sollte. Zugunsten der Grevesmühlener wurde eine nie bestätigte Brandausbruchszeit erfunden, verschwanden Haarproben im Gewahrsam der Polizei, sind Gegenüberstellungen unterlassen worden, wurden zur Bestätigung offensichtlich falscher Behauptungen über die Ursache der Haarversengungen Fischknochen und Beile untersucht, kurz: Es wurde mit allen Mühen ein Alibi für sie konstruiert, obwohl es nie eines gab.
Bezüglich des Hauses wurde im ersten Stock das wesentliche Beweismittel, die Spanplatte, auf die Benzin gegossen worden sein soll, vernichtet. Im Vorbau wurden - außer daß man mit einem Gerät nach Resten von Brandbeschleunigern gesucht hat - überhaupt keine Untersuchungen vorgenommen. Nicht mal die Position der dort liegenden Leiche des Sylvio Amoussou wurde irgendwie festgehalten oder gar fotografiert, geschweige denn der auf ihm liegende oder um seinen Körper herumgewundene Draht.
Man hat sich nicht um Durchbrennungen der dicken Bodenbohlen direkt hinter der Hauseingangstür gekümmert, gar behauptet, es gäbe sie gar nicht. Man hat einen zusammengeschmolzenen Drahtglasklumpen, ehemals die Füllung der Hauseingangstür, entsorgt. Ebenso einen vor der Tür gefundenen zusammengeschmolzenen Leichtmetallklumpen, der alles gewesen sein könnte: vom Zünder bis zur Briefkastenklappe. Und man hat innen liegende Fensterglasscheiben nicht gesondert asserviert und untersucht, sondern mit allem möglichen Glasmüll in einem großen Sack versenkt. Der Tod des Hausbewohners Sylvio Amoussou hat die Staatsanwaltschaft überhaupt nicht interessiert, obwohl der Gerichtsmediziner erklärt hatte, Amoussou müsse bereits tot gewesen sein, bevor ihn das Feuer erreichte und die Art der Verkohlung und Verkochung der Leiche nicht zum Auffindeort paßte.

F: Im Prozeßverlauf haben Sie den Vorwurf der schlampigen Ermittlungen gegen die Behörden erhoben.

Sind das Verschwindenlassen von Beweismitteln/Asservaten und die einseitigen Ermittlungen der Polizei und Staatsanwaltschaft der Grund für die Unmöglichkeit der Wahrheitsfindung?
Die Spurenvernichtung im Verfahren gegen Safwan Eid trägt geradezu systematische Züge. Alle Spuren, die deutlich in andere Richtung wiesen, wurden mit absurden Begründungen nicht verfolgt. Die einstigen Ermittlungen und das Vernichten von Beweismitteln hat dazu geführt, daß die Wahrheitsfindung ganz erheblich behindert war. Trotzdem läßt sich aufgrund des Inhalts der Akten und aufgrund der Stellungnahme des Gerichtsmediziners in der Hauptverhandlung sagen: Es bestand zu jedem Zeitpunkt ein dringender Tatverdacht gegen die jungen Männer aus Grevesmühlen, die in der Tatnacht vor dem Haus angetroffen wurden und die - so der Gerichtsmediziner Prof. Oehmichen - die für Brandstifter ganz typischen Spuren trugen. Sie hatten Motiv und Gelegenheit.

F: Es gab zwischenzeitlich drei sehr voneinander abweichende Urteilsbegründungen. Was sind die Unterschiede im einzelnen, wie kann ein und dasselbe Gericht zu so abweichenden Einschätzungen und Begründungen kommen? Ist das üblich vor Gericht?

Es scheint eine wundersame Metamorphose bei der Überzeugungsbildung des Gerichts gegeben zu haben. Noch im April 1997 stellte die Kammer im Rahmen einer Art »Zwischenbilanz« fest, daß es keine ausreichend belastenden Momente gegen Safwan Eid gebe. Darum sei auch dem Komplex Grevesmühlen nicht näherzutreten, obwohl im Verlaufe der Verhandlung deutlich geworden sei, daß die Jugendlichen aus Grevesmühlen sich in einem räumlich und zeitlich engen Zusammenhang mit der Brandlegung am hölzernen Vorbau befunden haben müßten.
Obwohl es keine Veränderung der Beweistatsachen gab, fiel die mündliche Urteilsbegründung am 30. Juni hinter die Zwischenbilanz zurück. Im Kern wurde zwar wieder festgestellt, daß der vom Sanitäter Leonhardt behauptete Inhalt des angeblichen Geständnisses von Safwan Eid mit dem möglichen Brandverlauf nicht in Übereinstimmung zu bringen ist und wohl von zwei primären Brandherden ausgegangen werden müsse - einer im ersten Stock und einer im hölzernen Vorbau. Ansonsten mußte man den Eindruck gewinnen, daß das Gericht es allen Seiten recht machen wollte. Jede Seite wurde etwas abgewatscht und jede Seite bekam ein bißchen recht.
Die schriftliche Version des Urteils legt sich auf eine Brandstiftung aus dem Kreis der Hausbewohner fest und konstruiert eine für mich einigermaßen abwegige Version der Ausbreitung des Brandgeschehens. Bei dieser läuft der im Vorbau tot aufgefundene Sylvio Amoussou mit einem im ersten Stock am Schwelbrand angeschmorten Bein über die Treppe hinunter in den Vorbau, wo vom angeschmorten Bein auf einmal eine Stichflamme emporzischt und Amoussou in der Folge tot umfällt - allerdings an einer Stelle, die mit dem festgestellten Brandgeschehen im Vorbau nicht vereinbar ist.
Das Urteil ist in sich höchst widersprüchlich und mag geeignet sein, den Frieden in der Justiz in Schleswig-Holstein wiederherzustellen. Der mit der Urteilsbegründung hinterlassene Eindruck ist das Aufrechterhalten eines Restverdachtes gegen Safwan Eid und gegen alle anderen Hausbewohner. Das empfinde ich angesichts der Beweisfeststellungen in der Hauptverhandlung und angesichts der massiven Verdachtsmomente gegen die Grevesmühlener als einigermaßen unerträglich.

F: Können Sie uns die gegenwärtige Lebenssituation der Familie Eid schildern? Wie steht es um ihren Aufenthalt?

Die Familie Eid verfügt aufenthaltsrechtlich - wie die meisten anderen HausbewohnerInnen - nur über eine Duldung, also eine »Aussetzung der Abschiebung«. Das Vertrauen in den Bürgermeister der Stadt Lübeck, der immer wieder Versprechungen gemacht und die Erwartungen in Hinblick auf einen sicheren Aufenthalt geweckt hat, ist längst geschwunden. Zusagen der Behörden gibt es gegenwärtig nicht. Es ist ein Leben nur für den Augenblick, ohne große Hoffnung und Perspektive, mit Angst um die Zukunft der Kinder und ihre mögliche erneute Entwurzelung.
Bürgermeister Bouteiller und der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, Wienholtz, haben zwar auch im letzten Jahr öffentlich ein Bleiberecht für die Bewohner gefordert. Die Entscheidung darüber haben sie jedoch an Bundesinnenminister Kanther delegiert, der sich allerdings für nicht zuständig erklärt hat. Die ehemaligen Hausbewohner sitzen zwischen allen Stühlen. Es ist an der Zeit, selbst Verantwortung für die Brandopfer zu übernehmen.

 Interview: Zdravko Sisic