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junge Welt Titel

09.04.1998
Lübeck: Klein Adolf gesteht und widerruft
Zwei Jahre nach Brandanschlag schielt Staatsanwalt nach rechts

Mehr als zwei Jahre nach dem Brand im Lübecker Flüchtlingswohnheim hat die Staatsanwaltschaft erneut Ermittlungen aufgenommen. Nachdem die Behörde zunächst versucht hatte, einem überlebenden Heimbewohner den Brand anzulasten, ermittelt sie nach einem Geständnis nun gegen vier Rechtsradikale aus Mecklenburg-Vorpommern.

In der Nacht zum 18. Januar 1996 waren nach einem Brandanschlag in einem Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße zehn Menschen verbrannt und 38 teilweise schwer verletzt worden. Obwohl in unmittelbarer Nähe des brennenden Hauses ein Wartburg mit den vier der rechten Szene zugehörigen Männern aus Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern stand, dessen Insassen versengte Wimpern und Augenbrauen hatten, beeilten sich die Ermittlungsbehörden seinerzeit, einen rechtsradikalen Hintergrund auszuschließen. Statt dessen wurde der Öffentlichkeit ein Überlebender des mörderischen Pogroms präsentiert: Safwan Eid. Ein Rettungssanitäter will gehört haben, daß der Libanese gesagt habe: »Wir warn's«.

Für die Staatsanwaltschaft Beweis genug, Safwan Eid den Prozeß zu machen, der allerdings im Juni 1997 mit einem Freispruch endete. Während Staatsanwalt Böckenhauer im Falle des Libanesen die angebliche, nur durch einen Zeugen belegte Äußerung »Wir warn's« bedeutungsvoll genug fand, um sie zur Grundlage eines Mordprozesses zu machen, ignorierte seine Behörde hingegen die Bekenntnisse der Kameraden vom rechten Rand. So hat sich Maik W., der sich von seinen Nazi- Kumpanen schon mal als »Klein Adolf« bezeichnen läßt, nach der Tat gegenüber einem Kaufhausdetektiv mit seiner Beteiligung an dem Brandanschlag gebrüstet. Auch einem Jugendlichen aus Güstrow erzählte er, daß er beim Lübecker Brandanschlag dabeigewesen sei. Belastende Indizien und die Widersprüche in den Aussagen der mutmaßlichen Brandstifter wurden einfach ignoriert.

Für Staatsanwalt Böckenhauer hatte das braune Quartett ein hieb- und stichfestes Alibi: Eine Polizeistreife will den Wagen zur Tatzeit rund 15 Kilometer entfernt an einer Tankstelle gesehen haben. Ob die Insassen des von der Polizei beobachteten Fahrzeugs und die vier Grevesmühlener tatsächlich identisch sind, wurde nie durch eine Gegenüberstellung geprüft.

Der Unwille der Staatsanwaltschaft, in der rechten Szene zu ermitteln, setzte sich offensichtlich auch nach Bekanntwerden des Geständnisses von Maik W. fort. Obwohl der 20jährige, der wegen verschiedener anderer Straftaten im Gefängnis sitzt, bei den Vernehmungen erklärt haben soll, daß die vier für die Brandstiftung in dem Asylbewerberwohnheim je 5 000 Mark bekommen hätten, maß die Lübecker Staatsanwaltschaft den Aussagen des Verdächtigen keine besondere Bedeutung bei. Weil sie »nicht mit den objektiven Tatumständen übereinstimmen«, wie der Pressesprecher der Lübecker Staatsanwaltschaft mitteilte. Außerdem habe der Mann seine Aussage bereits widerrufen.

Peter Murakami

(Siehe dazu auch Interview)

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