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junge Welt Inland

15.04.1998
»Ich war doch nur der Fahrer« - Ein Geständnis in Sachen Lübeck?
jW dokumentiert das Bekennerschreiben von »Heiko Patynowski«

Ich habe Angst, daß sie mich umbringen. Deshalb habe ich bisher nichts gesagt. Meine Mutter hat immer gebettelt: Stell dich der Polizei, das ist deine einzige Chance. Weil ich doch nur der Fahrer gewesen bin. Wenn dieser Brief veröffentlicht wird, bin ich im Gefängnis. Da fühle ich mich sicher. Einem Freund habe ich gesagt: Wenn die anderen wieder anfangen, mir die Schuld zu geben, dann schick diesen Brief ab. Hier steht alles drin, was ich weiß. Ich bin unschuldig. Ich habe keinen umgebracht.

Schon Wochen vor dem 18. Januar war die Sache mit der Hafenstraße geplant. Maik hat groß herumgeredet. Dem Marcel in Kronskamp hat er schon Anfang Januar erzählt, daß er in Lübeck was vor hat. Den Marcel kennt er noch aus dem Jugendheim. Maik kann sein Maul nie halten. Der muß immer erzählen, was er alles für Dinger gedreht hat. Sie wollten den Kanacken mal tüchtig einheizen, haben sie gesagt. Ich wollte nicht mitmachen. Ich gehör nicht richtig zu ihnen. Immer wieder haben sie mich gedrängt. Ein Dirk Schünemann hat immer wieder bei mir angerufen, bis spät in die Nacht. Den Schünemann kenn ich weiter nicht. Der war mit dem Üz in Rostock-Lichtenhagen. Schließlich haben sie mich doch überredet. Ich sollte sie nur hinfahren. Ich sollte meine Nachtschicht bei der Firma Upahl sausen lassen und mitkommen. Schließlich habe ich ja gesagt. Ich wußte nicht, was daraus wird.

Die Idee zur Hafenstraße kam aus Hamburg. Der Techentien kennt die Hamburger, den Christian Worch, Thomas Wulf und Andre Goerz. Die wollten den Jahrestag der deutschen Reichsgründung feiern. Es soll der 125. gewesen sein. Es war auch die Rede von einer Gedenkfeier mit Juden aus Israel. Die sollte am 19. Januar in Bonn sein. Die anderen haben gesagt, dieser nationale Gedenktag soll jetzt jedes Jahr sein. Zur Erinnerung an die Juden, die Hitler im KZ umgebracht hat. Sie haben gesagt, diese Feier ist eine Provokation gegen alle anständigen Deutschen. Und sie müßten ein Zeichen setzen. Ein Denkmal für den Führer, das so schnell keiner vergißt.

Wir haben uns ein paar Mal getroffen. Mein Freund René Burmeister war dabei und der Bernd Schramma, der bei René im selben Haus wohnt. Dann der Maik Wotenow, der Dirk Techentien mit dem Dirk Schünemann und noch der Andre Brade und der Mike Evers. Die beiden haben mal versucht, den Wagen von der Familie Eid zu stehlen. Manchmal noch ein paar andere, wie der Marco Kniep und der Michael Süss. Andre ist dann später ausgestiegen. Der Schünemann hat versprochen, sie würden alles organisieren, sie hätten Freunde bei der freiwilligen Feuerwehr und auch bei der Polizei. Ich erinnere mich an die Namen Leonhart und Hamann. Auch bei der Firma Brüggen, direkt neben dem Haus, würden sie jemand kennen, der aus Grevesmühlen kommt. Schünemann hat uns auch die 20 000 DM versprochen, die wir unter uns aufgeteilt haben.

Mit meinem Wagen wollte ich in dieser Nacht nicht fahren. Der ist auf meinen Vater zugelassen. Der Schünemann hat auch gesagt, es ist besser, mit 2 gleichen Wagen zu fahren. Die kann man leichter verwechseln. René wollte einen zweiten Wartburg besorgen, der ähnlich aussieht wie seiner. Am Nachmittag vor dem Brand hat er den Wagen von seiner Freundin Ellen Hack abgeholt. René hatte noch alte Kennzeichen. Die hat er dann an Ellens Auto befestigt: GVM V 326. Der Wagen von Ellen hatte lange gestanden. René hat lange gebraucht, bis er ansprang. Der Wagen ist dann aber doch mit viel Gestank und blauen Wolken gelaufen.

Meinen Eltern habe ich nichts davon gesagt, daß ich nach Lübeck fahre. Wie immer hat meine Mutter Stullen für die Nachtschicht gemacht. Wär ich bloß zur Arbeit gegangen, dann hätte ich mit dieser Sache nichts zu tun. Um halb 12 bin ich dann zu René gefahren. Wir haben Werkzeug eingepackt, um Autos zu knacken. Unsere Autos sollten an der Hafenstraße nicht gesehen werden. Dann haben wir Wotenow und Techentien zu Hause abgeholt. Danach haben wir uns alle bei der Shell-Tankstelle in Grevesmühlen getroffen. Wir haben Kaffee getrunken und getankt. Ich habe noch 10 DM dazugegeben, weil René nicht genug Geld hatte. Der ist immer knapp bei Kasse. Er zapft Sprit bei anderen Wagen. Dafür hat er auch immer mehrere Kanister im Auto. Wir sind dann noch nach Dechow gefahren. Der Michael Süss wollte aber nicht mitkommen. Von ihm haben wir uns noch Buchsen besorgt, um die Fahrzeuge kurzzuschließen. So gegen halb eins sind wir dann losgefahren. Wuschel und Maik hinten, ich vorn neben René. René ist gefahren. In dem anderen Wagen saßen Marco, Bernd, der Schünemann und Evers. Wir sind die B 105, dann die B 104 Richtung Schlutup gefahren. Da haben wir uns getrennt. Später haben sie dann erzählt, daß sie noch eine Gartenlaube ausgeräumt und angesteckt haben. Ein brauchbares Auto haben sie da nicht gefunden. Wir sind weiter die B 75 runtergefahren. Beim Gertrudenkirchhof haben wir den Wagen abgestellt und uns erst mal das Asylantenheim angesehen. Da sind wir aber nicht lange geblieben. Die anderen waren schon öfter da, die kannten sich aus. Sie wollten nur sehen, ob noch jemand wach ist. Wir sind dann die Travemünder Allee wieder zurückgefahren Richtung Autobahn. In Rangenberg wollten wir uns nach einem anderen Auto umsehen. Das war so gegen 20 nach eins. René hatte keine Lust mehr, lange zu suchen. Er wollte in die Korvettenstraße, da können wir ungestört arbeiten. Er hatte einen Schlüssel für eine Tiefgarage von seinem Vater oder einem Verwandten. Also sind wir auf die Autobahn gefahren, in Moisling sind wir runter. Den Wartburg haben wir dann beim EKZ Buntekuh gelassen. Da haben wir auch die anderen wiedergetroffen.

Maik hat dann bei denen mitgemacht. Wir haben den schwarzen Golf aufgemacht. Dann sind die anderen auch schon mit ihrem Wartburg los. Am Bahnhof wollten sie sich wieder treffen, noch ein paar Dosen Bier holen. Der Techentien kam mit seinem geklauten Auto nicht klar. Im Wendehammer im Galeonenweg haben wir den Golf dann mit ner Starterbuchse kurzgeschlossen und angeschoben bis er richtig lief.

In der Tiefgarage fanden wir einen Jetta, der gute Reifen hatte, ich brauchte unbedingt neue Reifen für mein Auto. Die haben wir dann abmontiert und zum Ausgang gebracht. Dann hat uns plötzlich eine Frau überrascht, die noch mit ihrem Wagen in die Garage fuhr. Wir haben uns hinter den anderen Autos versteckt. Dabei hat René seinen Schlüssel für das Gittertor verloren. Wir saßen in der Falle. Wir haben versucht, die Garagentore kurzzuschließen und dann aufzubrechen. Das eine ging nicht. Das andere haben wir dann schließlich aufgekriegt. Die Reifen haben wir stehen lassen, und ein anderes Auto haben wir auch nicht mehr aufgemacht. Wir waren völlig abgenervt. Wir sind dann los: die Ziegelstraße, die Korvettenstraße, Fregattenstraße, Moislinger Allee, am Moislinger Baum, Moislinger Berg, Stecknitzstraße, Geniner Weg vorbei beim Autohändler Martin, Berliner Platz, dann die Possehlstraße Richtung Bahnhof. Ich kenne mich dort ziemlich gut aus. Ich hab mal ein paar Monate in Lübeck als Fahrer gearbeitet.

Damals habe ich auch bei einem Freund im Andersenring gewohnt.

So kurz nach zwei haben wir dann die anderen in der Nähe des Bahnhofs getroffen. Der Wotenow hatte jetzt einen Rucksack dabei und ein Beil. Das hätte er an der Untertrave gefunden. Da waren sie langgegangen. Sie wollten sehen, ob es bei den Schuppen was zu holen gibt. Ich hab ihn gefragt, was er denn mit dem Beil will. Vielleicht kommen wir damit ins Haus rein oder so, hat er gesagt, man weiß ja nie. Dann wollten sie sehen, was der geklaute GTI hergibt. An der Untertrave sind wir dann ein Rennen gefahren. Uns haben sie 100 Meter Vorsprung gegeben. Ich konnte nicht so schnell mit, denn mein Wartburg war zu lahm. Ich hab nur mitgekriegt, wie der Golf den anderen Wartburg kurz vor der Hubbrücke überholt hat. Dabei hat er noch die Insel gerammt und ich glaube, auch den Wartburg. Am Golf war der linke Kotflügel hin, vielleicht auch der Scheinwerfer, und die Stoßstange hing runter. Die war halb abgerissen.

Wir sind dann bei den Ausländern vorbei. Auf dem Parkplatz beim Gertrudenkirchhof haben wir uns noch mal abgesprochen. Marco und Bernd hatten keine Lust mitzumachen. Auch der Schünemann wollte nicht direkt dabei sein. Wir besorgen euch ein Alibi, hat er gesagt. Auch der Evers ist dann mit dem Wagen von der Ellen weg. Der hatte Angst, daß ihn jemand erkennt, wenn was schief geht. Die wollten noch mal zurück in die Gartenkolonie. Sie wollten sehen, was aus dem Brand geworden war. Vielleicht wollten sie auch noch ein Auto knacken. Im Brüder-Grimm- Ring hatten sie einen BMW gesehen, der sie interessierte.

Später haben sie erzählt, da sind sie noch auf andere aus Grevensmühlen gestoßen. Die waren im Parcevalweg im Gange. Ich weiß aber nicht, wer das war und ob die Bescheid wußten. Das weiß der Freund von Wotenow, der mit ihm im Knast war. Die Feuerwehr war gerade wieder abgerückt. Dann sind sie weiter nach Moisling.

Der Techentien sagte, wir brauchen Sprit. Fahr noch mal los, hol 5 oder 10 Liter! Ich wußte, daß die Shell-Tankstelle im Padelügger Weg die ganze Nacht geöffnet ist. Über die Autobahn bin ich dann dahin. So gegen 2.45 Uhr hab ich da getankt - da bin ich ganz sicher. Dann bin ich sofort zurückgefahren, über die Autobahn bis nach Siems, die Travemünder Allee runter bis zum Radbruch-Kreisel und zur Hafenstraße runter. Die anderen haben mir mit Lichthupe ein Zeichen gegeben, damit ich weiß, wo sie sind. Das war ziemlich genau um 3 Uhr. Ich hab den Wartburg vor der Firma Brüggen geparkt. Auf der anderen Seite bei den Gleisen, damit wir sofort abhauen können, wenn alles vorbei ist.

Bernd sollte den geklauten Golf fahren. René, Maik und der Techentien sind dann mit dem Kanister los. Ich hab nur von der anderen Straßenseite zugesehen. Daher hab ich nicht alles mitgekriegt. Sie haben es mir später erzählt. Sie haben ein Fenster aufgehebelt. Das war aber nur das Büro, da sind sie nicht weitergekommen. Maik wollte mit dem Beil die Tür aufbrechen. Das war aber zu laut. Dann haben sie das Benzin in den Briefkasten gekippt. Aber es wollte nicht richtig brennen. Sie sind dann über den Fahrradständer auf den Vorbau geklettert. Oben haben sie versucht, ein Fenster aufzumachen. Dann schoß plötzlich eine Stichflamme hoch. Es gab eine Explosion und Glas splitterte. Alle 3 wurden verletzt. Daher stammen ihre Verbrennungen und nicht von einem Ofen oder einem Hund, den sie angesteckt haben. Im Vorbau haben sie noch gesehen, wie sich ein Neger hin- und hergeworfen hat. Der hat gebrannt, wie eine Fackel. Dann kamen auch schon Leute aus der Firma Brüggen angerannt.

Dann war auch schon die erste Streife vom BGS da. Wir mußten uns erst mal bei den Schuppen verstecken. Es war schrecklich. Dicker Rauch kam jetzt aus allen Fenstern. Menschen schrien um Hilfe. Dann sahen wir, wie von ganz oben eine Frau mit einem Kind heruntergesprungen ist. Ich glaube, die waren sofort tot. Immer mehr sprangen aus den Fenstern. Es ging alles furchtbar schnell. Flammen schlugen aus dem Vorbau und dem ersten Stock. Dann von allen Seiten Blaulicht. René sagte, jetzt laß uns los, die haben jetzt genug zu tun, laß uns abhauen, mein Wagen muß hier weg.

Als wir in den Wartburg einstiegen, wurden wir trotzdem kontrolliert. Wir dachten alle, jetzt haben sie uns. Maik hat einen falschen Namen angegeben. Unsere Ausweise hat keiner verlangt. Die Beamten haben sich für nichts interessiert. Sie haben den Wagen nicht kontrolliert. Sie haben nur gefragt, was wir hier wollen. Wir haben ihnen erzählt, wir haben das Blaulicht gesehen und wollten wissen, was hier los ist. Wir sind auf dem Weg nach Hause, haben wir gesagt. Das haben sie auch geglaubt und haben uns in Ruhe gelassen. Erst am nächsten Morgen hat die Polizei uns abgeholt. Ich hatte furchtbare Angst. Ich dachte, jetzt muß ich für immer in den Knast. Ich hatte mich auf dem Heuboden versteckt, bis meine Mutter mich geholt hat. Mein Vater hat einen Herzanfall gekriegt. Meine Mutter hat gesagt, sie will nichts mehr mit mir zu tun haben, wenn ich da mitgemacht habe. Aber ich habe ja nichts gemacht. Ich war doch nur der Fahrer.

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