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junge Welt Inland

19.06.1999
Ausschluß »schlechter Zeugen«
Im Prozeß um den Brandanschlag von Lübeck macht das Kieler Landgericht beharrlich, was es will, und schließt Nebenkläger vom Prozeß aus

Die Kette juristischer Fehlleistungen deutscher Landgerichte setzt sich auch im Prozeß um den Lübecker Brandanschlag fort. Wie die Rechtsanwälte von zehn Nebenklägern der vom Brandanschlag auf das Kieler Asylbewerberheim betroffenen Bewohner in einer Presseerklärung mitteilen, hat das Kieler Landgericht den Opfern, die in der ersten Instanz einen Freispruch für Safwan Eid beantragt hatten, die Nebenklagebefugnis entzogen und sie vom Prozeß ausgeschlossen. Gleichzeitig hat die Lübecker Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die aus Grevesmühlen stammenden Tatverdächtigen eingestellt.

Das Landgericht Kiel begründete seine Entscheidung mit der Auffassung, daß das einzig zulässige Interesse der Nebenkläger eine Verurteilung des Angeklagten sein dürfe. Das Eintreten der Nebenklage, so das Gericht weiter, sei für einen Freispruch des Angeklagten nicht legitim.

Nach Auffassung der Nebenklägervertreterin Marlene Schmidt- Ozarnetzki findet diese Auffassung keine Stütze im Gesetz. Deshalb sei der Beschluß des Landgerichts rechtswidrig. Wie die Anwälte weiter argumentieren, könne ein verantwortungsbewußter Nebenkläger keine Verurteilung beantragen, solange die prozessuale Tataufklärung keinen überzeugenden Schuldnachweis erbringe. Im Verfahren um den Lübecker Brandanschlag gab es gleich zu Beginn andere Verdächtige. Es handelte sich um drei rechtsradikale Jugendliche, die in der Tatnacht mit angesengten Augenbrauen in unmittelbarer Nähe des brennenden Asylbewerberheimes in der Lübecker Hafenstraße von einer Polizeistreife festgenommen und wieder freigelassen worden waren. Doch trotz zahlreicher Indizien, die in der Folgezeit immer wieder auf die drei Grevesmühlener als Täter hinwiesen, weigerte sich die Lübecker Staatsanwaltschaft hartnäckig, die Ermittlungen in diese Richtung voranzutreiben. Begründung: Der Tatverdacht gegen die drei Grevesmühlener stimme nicht mit den »objektiven Tatumständen« überein. Dazu paßt auch das neuerliche Verhalten des Kieler Kammergerichts, das nach Auffassung der Nebenklägervertreter zwischen »ordentlichen« und »störendenden« Zeugen differenziere. Über das mit dem »Rausschmiß« der »störenden« Zeugen verfolgte Interesse läßt sich nur spekulieren. Nach Auffassung der Rechtsanwälte soll das Verfahren vermutlich vom »Ballast« der ausgeschlossenen Nebenkläger befreit, soll im neuen Verfahren offenbar möglichst stromlinienförmig darauf hingesteuert werden, den Fall Hafenstraße ein für alle Male - und wahrscheinlich unaufgeklärt - abzuschließen.

»Gerade wenn die Aufklärung des wirklichen Geschehens in der Brandnacht immer unwahrscheinlicher wird, gilt es, einer Geschichtsschreibung, wonach sich die Ausländer selbst untereinander angezündet haben, Zweifel und Fakten entgegenzuhalten«, sagen die Nebenklägervertreter, die gegen die Entscheidung des Landgerichts beim Oberlandesgericht Schleswig Beschwerde eingelegt haben.

Peter Murakami

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