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junge Welt Interview

02.09.1999
Protest gegen den neuen Eid-Prozeß?
jW sprach mit Reinhard Pohl von der Kieler Gruppe »Gegenwind«

(Mitorganisator der Kundgebung zum neuerlichen Prozeß gegen den Libanesen Safwan Eid)

F: Am Freitag beginnt vor dem Landgericht Kiel der neue Prozeß gegen den Libanesen Safwan Eid. Er wird erneut beschuldigt, für den Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße verantwortlich zu sein, bei dem in der Nacht vom 18. Januar 1996 zehn Menschen starben und 38 verletzt wurden. Am Freitag wird es auch eine von Ihnen organisierte Kundgebung vor dem Gericht geben. Warum?

Der Prozeß gegen Safwan Eid ist ein politischer Prozeß. Er soll erneut die Konstruktion der Lübecker Staatsanwaltschaft in der Öffentlichkeit verankern. Der Bundesgerichtshof hoffte, mit der Verlegung des Prozesses von Lübeck nach Kiel das ganze Verfahren in einer ruhigen Atmosphäre durchziehen zu können. Mit der Kundgebung zum Prozeßauftakt wollen wir zeigen, daß wir den Prozeß öffentlich beobachten und begleiten.

Es ist anzunehmen, daß bei der Neuauflage des Prozesses, dreieinhalb Jahre nach dem Brandanschlag, die politische Brisanz des Verfahrens heruntergespielt werden soll. Dem wollen wir etwas entgegensetzen.

F: Beteiligen sich auch Überlebende des Brandanschlages an den Protesten?

Einige werden sich mit Sicherheit an den Protesten beteiligen und auch den Prozeß regelmäßig besuchen. Wir wissen von verschiedenen Überlebenden, daß sie über den neuen Prozeß sehr wütend sind. Sie stehen jetzt vor der Entscheidung, noch mal Kraft in einen Prozeß zu investieren, der jetzt fast 100 Kilometer entfernt stattfindet und wieder nur der Vertuschung dient. Einige der Überlebenden wollen nur noch Kraft für e i n Verfahren aufbringen, nämlich einem Verfahren, das den Tätern gilt.

F: Im Aufruf ist von dem »Modell Lübeck« die Rede. Was ist damit gemeint?

Hier in Lübeck stehen deutlich zwei Dinge nebeneinander: Es gibt einen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft, bei dem zehn Menschen getötet wurden. Es gibt geständige Verdächtige aus der rechten Szene, es gab ein oder zwei V-Leute, die vor der Tat und während der Tat dort aktiv waren.

Daneben gibt es eine Konstruktion: Einen Verdacht und Gerüchte, die Flüchtlinge hätten innerhalb des Heims Differenzen gehabt, und alles mündet dann in der Botschaft, die Flüchtlinge zünden sich gegenseitig oder selbst an. Das ist ein Modell, weil es danach auch an anderen Orten funktioniert hat. Das Modell Lübeck hat zumindest die liberalen, humanitären Kreise der Bevölkerung, die Organisatoren von Lichterketten zum Schweigen gebracht. Ein Effekt der Entsolidarisierung in bislang solidarischen Kreisen ist die Folge.

F: Wie werden Sie den Prozeß begleiten?

Der Prozeß wird regelmäßig besucht und beobachtet, damit alle Informationen schnell öffentlich verfügbar sind. Dazu werden wir regelmäßig auch selbst Berichte veröffentlichen und zu Veranstaltungen einladen, den Kristallisationspunkt soll ein wöchentlicher »Runder Tisch Prozeßbegleitung« bilden. Wieweit dann unsere Informationen und Kommentare wirklich öffentlich werden, hängt davon ab, ob sie von aktiven Gruppen, aber auch von den Medien zur Kenntnis genommen und genutzt werden.

Interview: Alyn Beßmann, Hamburg

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