nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Sat Jun 10 18:05:51 2000
 

junge Welt Inland

03.09.1999
Staatsanwälte außer Kontrolle
Am Kieler Landgericht muß sich der Libanese Safwan Eid erneut wehren. Von Wolfgang Pomrehn

Der Libanese Safwan Eid muß sich ein zweites Mal wegen der Vorwürfe des Verdachtes auf besonders schwere Brandstiftung vor dem Kieler Landgericht verantworten. Es ist nicht gerade ein alltäglicher Prozeß, geht es doch bei dem Brand in einer Flüchtlingsunterkunft in Lübeck im Januar 1996 um den bisher folgenreichsten Fall dieser Art. Obwohl Eid nach 60 Verhandlungstagen nach dem Grundsatz »Im Zweifel für den Angeklagten« vom Lübecker Landgericht bereits freigesprochen worden war, stützt sich Abbildung der neue Prozeß auf eine erfolgreiche Revisionsklage der Familie El Omari, die beim Brand im Januar 1996 einen Sohn verlor. In Anbetracht der Chronologie steht jedoch in Zweifel, ob der neue, am heutigen Freitag beginnende Prozeß der Wahrheitsfindung dient. (Foto: Safwan Eid mit seinen Verteidigerinnen Barbara Klawitter - links - und Gabriele Heinecke am 24. Juli 1998; an diesem Tag hatte der Bundesgerichtshof den Freispruch des Libanesen aufgehoben)

Zehn Menschen starben seinerzeit in den Flammen, und da es in der Hansestadt schon zuvor mehrere rassistische Brandanschläge gegeben hatte, u.a. auf eine Synagoge, lag der Verdacht nahe, daß auch diesmal Fremdenhaß das Motiv war. Tausende Lübecker zogen am Tag nach dem Brand vor das Haus in der Neuen Hafenstraße, um gegen Rassismus und rechtsradikalen Terror zu protestieren. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis eilte zum Foto-Termin an den Brandort, bedauerte aber vor allem die Lübecker Bürger, da ihre Stadt nun schon wieder international negative Schlagzeilen machte.

Die konservative Presse im Land war etwas verstört, beeilte sich jedoch zu versichern, daß das nun keinesfalls heißen dürfe, daß man jetzt nicht mehr über Ausländerkriminalität spricht (so ein Kommentator der Kieler Nachrichten). Schon bald stimmte für sie allerdings das Weltbild wieder: Die Lübecker Staatsanwaltschaft meinte, den Täter ausfindig gemacht zu haben: Safwan Eid, der mit seiner Familie selbst in dem Haus gewohnt hatte. Nicht deutsche Rassisten, sondern eines der Opfer sollte das Feuer gelegt haben. Einer der in der Brandnacht tätigen Rettungssanitäter behauptete, der damals 20jährige Libanese habe ihm gegenüber die Tat gestanden. »Wir waren es«, will er von Safwan gehört haben. Der Staatsanwaltschaft reichte das für eine Festnahme und fast ein halbes Jahr Untersuchungshaft. Der Prozeß, den sie im Sommer 1996 gegen Safwan Eid anstrengte, endete allerdings ein Jahr später mit Freispruch.

Doch damit war die Sache nicht ausgestanden. Während sich die meisten der überlebenden Opfer mit Safwan über seinen Freispruch freuten, da sie stets von seiner Unschuld überzeugt gewesen waren, legten einige der Nebenkläger - die Familie El Omari, die ebenfalls in dem Flüchtlingsheim gewohnt hatte - gegen das Urteil Revision ein. Die Staatsanwaltschaft verzichtete hingegen auf weitere Rechtsmittel. Die Anwälte der Omaris monierten vor allem, daß die Lübecker Kammer Abhörprotokolle aus der Untersuchungshaft nicht als Beweismittel zugelassen hatte. Das Gericht hatte das Abhören von Besuchergesprächen und Gebeten als rechtswidrig angesehen.

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe teilte allerdings die Auffassung der Vertreter der Familie El Omari. Durch das Abhören sei die Privatsphäre des Angeklagten nicht verletzt worden; zudem sei eine Zelle rechtlich anders zu würdigen als eine Wohnung. Das Verfahren wurde also zur Neuverhandlung zurückverwiesen. So kommt es, daß Safwan Eid ab heute erneut vor Gericht steht.

Diesmal in Kiel, da es in Lübeck nur eine Jugendkammer gibt, die nicht noch einmal mit dem gleichen Fall befaßt werden soll. Die meisten Bewohner des Asylheimes sind allerdings genauso wie auch die diversen antirassistischen Gruppen, die den Prozeß seinerzeit beobachtet haben, weiter von Safwan Eids Unschuld überzeugt. Zu offensichtlich einseitig waren damals die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gewesen. Selbst der Vorsitzende Richter Wilcken hatte nach dem ersten Verfahren in der mündlichen Urteilsbegründung die zahlreichen »Ermittlungspannen« von Polizei und Staatsanwaltschaft kritisiert.

Da waren zum Beispiel die vier Grevesmühlener Jugendlichen, die wenige Stunden nach dem Brand als Tatverdächtige festgenommen wurden und in ihrer mecklenburgischen Heimatstadt offensichtlich zur rechtsradikalen Szene gehörten. Sie waren in der Nähe des Tatorts gesehen worden. Bei dreien von ihnen wurden im Rahmen einer rechtsmedizinischen Untersuchung versengte Kopfhaare, Wimpern und Augenbrauen festgestellt. Die Begründungen, die sie dafür angaben, waren haarsträubend, wurden aber nicht weiter überprüft. Einer will mit dem Feuerzeug in seinem Mofatank nachgesehen haben, ob noch genug Benzin drin ist; ein anderer gab an, er habe seinen Hund angezündet. Auch fiel offenbar keinem der ermittelnden Beamten auf, daß die angegebenen Zeitspannen nicht recht zur Frische der Sengspuren paßten.

Die Haarproben, die von den Grevesmühlenern genommen wurden, verschwanden später auf unerklärliche Weise. Eine Gutachterin, die im Prozeß unter Eid aussagte, sie habe die Proben an die Polizei weitergeleitet, wurde von der Staatsanwaltschaft mit einem Meineidverfahren belegt. Ermittlungen gegen die verantwortlichen Beamten gab es nicht.

Im Gegensatz zu Safwan Eid waren die Grevesmühlener knapp einen Tag nach ihrer Festnahme wieder auf freiem Fuß. Eine Polizeistreife hatte drei von ihnen in ihrem Wagen um 3.17 Uhr an einer Tankstelle in sechs Kilometer Entfernung vom Tatort gesehen. Das Feuer ist nicht später als um 3.30 Uhr ausgebrochen. Die Staatsanwaltschaft ging daher davon aus, daß die Grevesmühlener für die Tatzeit ein Alibi haben.

Die Merkwürdigkeiten setzten sich bei der Spurensicherung am Tatort fort. Die Anklage stützte sich im wesentlichen auf die These, der Brand sei im ersten Stock ausgebrochen. Etwaige Täter von außen hätten, so die Staatsanwaltschaft, gewaltsam in das Haus einbrechen und über eine Treppe in den ersten Stock gelangen müssen. Auch eine Bodenplatte von just der Stelle, an der nach Vorstellungen der Anklage wie auch des Gutachters vom Landeskriminalamt der Brand ausgebrochen sein soll, ging in der Asservatenkammer verloren. Der LKA-Gutachter soll sie wegen »Bedeutungslosigkeit« weggeworfen haben. Sie konnte also nicht mehr auf Spuren von Brandbeschleunigern o. ä. untersucht werden.

Viele Zeugenaussagen, vor allem der Bewohner des Hauses, widersprachen allerdings dieser Version von der Lage des Brandherdes. Mehrere von ihnen gaben an, nach Brandausbruch durch den fraglichen Flur gelaufen zu sein und dort kein Feuer gesehen zu haben. Auch ein unabhängiger Gutachter widersprach der Darstellung des LKA. So erscheint es nach verschiedenen Aussagen mehr als wahrscheinlich, daß der Brand in einem hölzernen Anbau im Eingangsbereich ausgebrochen ist. Doch dort wurde nur eine mangelhafte Spurensicherung vorgenommen. Der Schutt im Vorbau wurde ohne vorherige Analyse zusammengekehrt und erst im nachhinein, als er bereits mit anderen Resten vermengt war, durchgesiebt. So konnte zum Beispiel nicht mehr festgestellt werden, ob die Glasscherben in dem Anbau, in dem sich auch die Eingangstür befand nach innen oder außen gefallen waren. Ersteres hätte auf ein gewaltsames Eindringen in das Haus schließen lassen.

Auch war in dem Anbau eine Leiche gefunden worden, die Rätsel aufgab. Sylvio Amoussous war nachweislich nicht, wie die anderen Opfer, an Rauchvergiftung gestorben. Ob er vielleicht durch Gewaltanwendung vor Ausbruch des Feuers ums Leben kam, konnte an dem verkohlten Leichnam nicht mehr festgestellt werden. Allerdings gab man sich auch nicht allzuviel Mühe, sein Schicksal aufzuklären: Bei der Bergung des Toten war kein Kriminaltechniker anwesend, der die Lage dokumentiert oder Ruß- und Schuttproben genommen hätte. Auch Herkunft und Rolle eines Drahtes, den man um den Körper des Toten gewickelt fand, blieb im prozessualen Dunkel.

Angesichts dieser Widersprüche und Ermittlungsfehler stellte der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken am 53. Prozeßtag im April 1997 in einer Zwischenbilanz fest, daß, selbst wenn man die Sachverhalte »im Zweifel gegen den Angeklagten« werte, das Gericht zu dem Schluß kommt, daß eine Belastung Safwan Eids nicht zu sehen ist. Die Verhandlungen schleppten sich allerdings noch weitere zweieinhalb Monate hin. Am Ende stand ein Urteil, das die Mehrzahl der überlebenden Brandopfer nur enttäuschen konnte: Die Tat blieb unaufgeklärt, und trotz der für den Angeklagten so positiven Zwischenbilanz erweckten die mündliche und mehr noch die schriftliche Urteilsbegründung den Eindruck, Safwan Eid bleibe verdächtig, ihm könne die Tat nur nicht nachgewiesen werden.

Die von vielen Beobachtern und vor allem den antirassistischen Gruppen erhoffte Abrechnung mit der einseitigen Ermittlungspraxis der Lübecker Strafverfolger blieb aus. Selbst in der wichtigen Frage der Lage des Brandherdes wählte das Gericht den bequemen Weg, in dem es ganz salomonisch von zwei Herden ausging: einem im Anbau, einem im ersten Stock.

Inzwischen ist fraglich, ob die Vorgänge in der Lübecker Neuen Hafenstraße in der Nacht zum 18. Januar 1996 jemals aufgeklärt werden können: Rechtzeitig zur Neuauflage des Prozesses gegen Safwan Eid hat die Lübecker Staatsanwaltschaft auch das zweite Ermittlungsverfahren gegen die Grevesmühlener eingestellt. Es war im April letzten Jahres nach einem erneuten Geständnis eines der Beschuldigten aufgenommen worden. Maik Wotenow, der inzwischen wegen eines anderen Deliktes in Neustrelitz im Gefängnis saß, hatte gegenüber Reportern und Mitgefangenen zugegeben, den Brand gelegt zu haben. Später hatte er in erneuten Vernehmungen widerrufen. In ihrer jetzigen Einstellungsverfügung halten die Lübecker Verfolger an ihrer Version des Tathergangs fest, auf den sie sich bereits kurz nach der Tat eingeschossen hatten. Nach wie vor lautet ihr zentrales Argument, daß der Brand im ersten Stock ausgebrochen sei, als habe es nicht gerade hierzu äußerst widersprüchliche Gutachten und Zeugenaussagen gegeben.

Ein Tathergang aber, bei dem die Täter von außen in das Gebäude eingedrungen seien, »findet in den Ermittlungsergebnissen keine tatsächlich Stütze«, so die Staatsanwaltschaft. Angesichts dessen, so die Verfolgungsbehörde weiter, seien auch die später widerrufene Geständnisse eines der Beschuldigten »nicht geeignet einen hinreichenden Tatverdacht zu begründen«. Die Rechtsanwälte Mohr, Ehrhardt, Schmidt- Czarnetzki und Wagner, die im ersten Prozeß einige der Nebenkläger vertreten hatten, kritisieren die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft: Annahmen über ungesicherte Sachverhalte würden als Tatsachen festgeschrieben und mögliche alternative Abläufe weder in Erwägung gezogen noch durch Nachermittlungen abgeklärt.

Vor derartigen zeitvergeudenden Erwägungen will sich offensichtlich auch das Kieler Landgericht schützen: Es schloß kurzerhand jene Nebenkläger aus, die im Lübecker Prozeß auf Freispruch plädiert hatten. Übrig bleiben die Anwälte der Familie El Omari. Begründung: »Die Nebenkläger sind (...) bereits von Anfang an ausschließlich an einem Freispruch des Angeklagten und vor allem an einer weiteren Strafverfolgung gegen Dritte interessiert.«

Das aber, so scheint man im Kieler Gericht zu meinen, würde nur die »Prozeßökonomie« stören. Die stellt sich der Vorsitzende Richter Strebos so vor, daß er zunächst nur belastende Zeugen zu Wort kommen läßt. Stellt sich dann in einer ersten Zwischenbilanz heraus, daß es nicht für eine Verurteilung reicht - wovon ausgegangen werden kann -, könnte der Prozeß abgeschlossen werden, ohne Entlastungszeugen zu hören. Der Effekt wäre freilich, daß die Medien noch einmal ein oder zwei Monate die Aussagen gegen den Angeklagten verbreiteten und ihm letztlich der Makel des Freispruchs aus Mangel an Beweisen anhaften bliebe.

(AP-Foto: Christof Stache)

© junge Welt