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junge Welt Inland

12.10.1999
Freispruch für Safwan Eid wahrscheinlich
Kieler Landgericht prüft Abhörprotokolle und Lübecker Urteil aus der ersten Instanz

Das Landgericht Kiel kann bisher keinen neuen Tatverdacht gegen Safwan Eid sehen. Das wurde gestern in der Fördestadt in einer Zwischenbilanz deutlich, die die Jugendkammer des Gerichts zog. Der 23jährige Libanese muß sich derzeit in Kiel in einem an das Landgericht zurückverwiesenen Verfahren verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, im Januar '96 den Brand in einer Lübecker Flüchtlingsunterkunft gelegt zu haben, in der er mit Eltern und Geschwistern lebte. Bei dem Feuer, das auch im Ausland Schlagzeilen machte, waren seinerzeit zehn Bewohner ums Leben gekommen. Mehrere Dutzend wurden verletzt.

Bereits vor zwei Jahren hatte das Landgericht Lübeck Safwan Eid von dieser Anklage freigesprochen; jedoch hatte es seinerzeit Abhörprotokolle nicht als Beweismittel anerkannt, die in der Untersuchungshaft des Angeklagten vom Gespräch mit seinem Vater und einem Bruder angefertigt worden waren. Für den Bundesgerichtshof war das Anlaß gewesen, Revision zuzulassen.

Nachdem die Bänder nun in den wesentlichen Abschnitten vor dem Kieler Gericht abgespielt und übersetzt worden waren, kam dieses zu dem Ergebnis, daß sie keine neuen Indizien enthalten. Der Sprachsachverständige des Bundeskriminalamtes hatte einige der belastenden Passagen offenbar falsch oder ungenau übersetzt. So steht für das Gericht fest, daß die Wörter »gestehen« und »gestorben« verwechselt worden waren. Eid habe nicht gesagt, er habe zehn Leute umgebracht. Die korrekte Übersetzung laute, »wenn ich dir sagen würde, ich hätte zehn Leute umgebracht, würdest du zwei Tage warten, bis du zur Polizei gehst«. Ein Bruder Eids habe zudem nicht wie ursprünglich übersetzt erklärt, »Ich habe alle zum Schweigen gebracht«, sondern »Ich habe alle beruhigt«.

Dort, wo der BKA-Mann bei seiner ursprünglichen Version blieb, verstand ein zweiter Übersetzer meist etwas anderes oder gar nichts. Das Gericht entschied sich denn auch dafür, die strittigen Sequenzen unberücksichtigt zu lassen und vermied dafür vorerst eine Entscheidung über einen Befangenheitsantrag gegen den BKA-Übersetzer. Den hatte die Verteidigung schon Ende letzten Monats gestellt.

Auf den Bändern, stellte der Vorsitzende Richter Strebus fest, gebe es auch keinen Hinweis auf ein Motiv. Auch daß Eid seinem Vater gegenüber von seinen Fehlern gesprochen habe, sei keineswegs ein Schuldeingeständnis. Die Formulierungen, die zum Teil im Gebet fielen, deuteten nach Auffassung der Kammer eher darauf hin, daß Eid allgemein über sein Leben reflektiert habe. Ein Gespräch mit seinem Bruder über den Benzinkanister, der für die Staatsanwaltschaft ein wichtiges Indiz ist, deute eher darauf hin, daß die beiden Männer nicht gewußt haben, wo dieser sich in der Brandnacht befand.

Eine längere Passage, in der Eid seinem Bruder schildert, wie er in der Nacht geweckt wurde, wertete das Gericht ausdrücklich als entlastend. Er habe seinem Bruder lebhaft geschildert, wie er von dem Brand überrascht wurde. Das Gericht konnte keinen Grund sehen, weshalb der Angeklagte ohne Not seinen Bruder belogen haben sollte.

Die Kieler Jugendkammer bewertete nicht nur die umstrittenen Bänder, sondern äußerte sich auch zu den Aussagen des Rettungssanitäters Leonhardt, der von Safwan Eid den Satz »Wir waren es« in der Brandnacht gehört haben will. Die Kieler Richter unterstellten, daß die Aussagen des Hauptbelastungszeugen wahr sind, konnten darin allerdings keinen ausreichenden Beweis sehen. Das »wir« sei zu allgemein, um aus diesem Satz allein ein Bekenntnis zu einer Tat abzuleiten.

Während sich Staatsanwalt Martens einer Stellungnahme zur Zwischenbilanz enthielt, gab die Nebenklage Widerspruch zu Protokoll. Sie geht nach wie vor davon aus, daß der Angeklagte einem Mitbewohner eins habe auswischen wollen. Nach der Lesart der Nebenklage habe er deshalb vor einer Wohnungstür ein Feuer gelegt, das dann außer Kontrolle geraten sei. Die Verteidigung wies diese Sichtweise als haltlos zurück.

Der Prozeß wird am heutigen Dienstag fortgesetzt.

Wolfgang Pomrehn, Kiel

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