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junge Welt Interview

09.11.1999
Grevesmühlen: Welche Rolle spielt der Verfassungsschutz?
jW sprach mit Monty Schädel, Landtagsabgeordneter der PDS in Mecklenburg-Vorpommern

(Der 30jährige stammt selbst aus Grevesmühlen)

F: Sie haben einen Untersuchungsausschuß gefordert, um die Vorgänge um den V-Mann des Verfassungsschutzes von Mecklenburg-Vorpommern Michael G. aufzudecken. Was genau war passiert?

Derzeit läuft ein Prozeß gegen Rechte, die in Grevesmühlen eine Pizzeria überfallen haben sollen. Im Laufe dieses Prozesses hat sich ein V-Mann des Verfassungsschutzes enttarnt, der ehemaliger Kreisvorsitzender der NPD in Grevesmühlen war. Vor einigen Jahren warb der Verfassungsschutz ihn an, dann sei er angeblich zunächst abgestellt und später wieder aktiviert worden, nachdem bei den Landtagswahlen 1998 die NPD nicht ins Parlament gekommen war. Die Verfassungsschützer haben diesem V-Mann Daten zur Verfügung gestellt, die der Geheimdienst über Linke im Bereich Nordwest-Mecklenburg und Wismar, also der Region um Grevesmühlen, gesammelt hatte. Es wurden also nicht nur Rechte überwacht, sondern sie sind gezielt mit Insiderinformationen des Verfassungsschutzes über linke Personen versorgt worden. Landesinnenminister Timm sagte zwar, er sei nicht umfassend vom Verfassungsschutz informiert worden. Mittlerweile aber wird vom Innenministerium eingestanden, daß diese personenbezogenen Daten weitergegeben wurden. Noch unklar ist, ob dies Klardaten waren. Deshalb soll nun ein Untersuchungsausschuß die Angelegenheit prüfen.

F: Ist Grevesmühlen Ihrer Ansicht nach als eine »rechte Hochburg« zu bezeichnen?

Was ist eine Hochburg? In Mecklenburg-Vorpommern konnten die Rechten glücklicherweise nicht in den Landtag kommen, gelangten auch nicht nur in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde. Der Raum Grevesmühlen ist kein Zentrum der Rechten und auch nicht als Hochburg zu bezeichnen. Es gibt hier aber wie in vielen anderen Städten Mecklenburg-Vorpommerns und der Bundesrepublik rechte Strukturen und rechtsradikal motivierte Überfälle.

F: Welche Rolle spielt der Verfassungsschutz in diesen sichtbaren rechten Szenen?

Das werden wir, hoffe ich, durch den von mir angeregten Untersuchungsausschuß herausbekommen. Ich hoffe nicht, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen rechten Strukturen, dem Verfassungsschutz und dem Ausweiten rechter Strukturen. Aber es weiß eben auch keiner. In Mecklenburg-Vorpommern wird derzeit nur in der Parlamentarischen Kontrollkommission und im Innenministerium, sprich im Verfassungsschutz, darüber geredet. Die Einwohner unseres Landes sind außen vor. Das kann so nicht sein.

F: Ist es denkbar, daß die bei der Aufklärung rechtsradikal motivierter Verbrechen immer wieder auftretenden »Ermittlungspannen« auch auf Aktivitäten des Verfassungsschutzes im rechten Milieu zurückzuführen sind?

Das steht offensichtlich in einem Zusammenhang. Es ist zum Beispiel schon äußerst auffällig, daß im Prozeß um den Lübecker Brandanschlag gegen den Libanesen Safwan Eid die Spur in Richtung Grevesmühlen nicht weiter ermittelt worden ist bzw. die Ermittlungen gegen die Rechten aus Grevesmühlen sehr schnell eingestellt wurden. Da waren auf einmal Beweismaterialien verschwunden bzw. unbrauchbar gemacht worden. Gegen Rechte wird sehr selten - nur dann, wenn es sich absolut nicht mehr verheimlichen läßt - ermittelt.

F: In den 80er Jahren sind vom DDR-Ministerium für Staatssicherheit Inoffizielle Mitarbeiter in Strukturen geschleust worden, wo sich die Bildung von rechten Milieus andeutete - etwa ins Umfeld von Fußballfanklubs. Man hörte in der von Stasi- Enthüllungsgeschichten so reichen Zeit nach der Wiedervereinigung kaum davon, daß IM aus diesem Bereich aufflogen. Was ist aus diesen IM eigentlich geworden?

Das liegt alles im Bereich der Mutmaßungen. Dazu kann ich nichts sagen. Ob es ehemalige IM sind, spielt für mich nicht die vordergründige Rolle.

F: Das müßte man aber in Erwägung ziehen, um überhaupt abschätzen zu können, wie viele V-Männer der Verfassungsschutz in der rechten Szene hat. Es kann doch sein, daß diejenigen, die sich zu DDR-Zeiten aus sehr ehrenwerten Motiven in die Strukturen begeben haben, da jetzt nicht mehr so leicht rauskommen?

Das kann sein. Aber die Verfassungsschützer werden mittlerweile auch ihre Methoden haben, Leute neu anzuwerben. Es wird auch genug Leute geben, die diese Strukturen bespitzeln. Andererseits gibt es genug Aussteiger aus der rechten Szene, und warum sollten gerade Geheimdienstmitarbeiter nicht aussteigen können?

F: Weil es in diesem Land immer noch so etwas gibt wie die Gauck-Behörde mit ihrem Verfolgungswahn.

Gut. Aber, diejenigen, die das seinerzeit aus ehrlicher Überzeugung gemacht haben, müssen erkennen, daß der Verfassungsschutz nicht intensiv darum bemüht ist, die Rechten zu bekämpfen. Und gerade so undurchsichtige Vorgänge des sog. demokratischen Geheimdienstes können, wo landauf und landab zehn Jahre Sieg über den »Geheimdienststaat DDR« gefeiert wird, nicht gerade für Vertrauen in das parlamentarische System werben.

F: In Mecklenburg-Vorpommern, wo die PDS immerhin mitregiert, werden Teile der Partei nach wie vor vom Verfassungsschutz beobachtet.

Die Kommunistische Plattform wird überall überwacht. Es wird unser Jugendverband überwacht, weil man von linken Jugendlichen immer auch Gewalt erwartet. Ich glaube, das alles ist ein Vorwand, um die PDS insgesamt weiter zu überwachen. Wir als PDS arbeiten nicht in der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtages mit, weil sie für uns nur einen demokratischen Anstrich hat und den Geheimdienst nicht wirklich kontrolliert. Geheimdienste lassen sich auch nicht in die Karten gucken. Trotzdem sollte sich ein Untersuchungssauschuß zumindest um Aufklärung bemühen. Die PDS-Fraktion hat sich bislang zurückgehalten. Ich hoffe, daß es in unserer Fraktion mehrheitsfähig ist, diesen Untersuchungssausschuß zu beantragen. Vielleicht aber kommt es auch zu einem Dringlichkeitsantrag im Landtag.

Interview: Ulrike Schulz

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