Süddeutsche Zeitung, 01.07.97 - Politik
Brandkatastrophe in Asylbewerberheim bleibt ungeklärt
Der Libanese erhält Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft / Proteste im Gerichtssaal
cob. Lübeck (Eigener Bericht) Die Brandkatastrophe in einem Lübecker Asylbewerberheim, bei der am 18. Januar 1996 zehn Menschen ums Leben kamen und 38 zum Teil schwer verletzt wurden, bleibt unaufgeklärt. Der libanesische Hausbewohner Safwan Eid, der sich seit neun Monaten vor einer Jugendkammer des Lübecker Landgerichts wegen des Vorwurfs der besonders schweren Brandstiftung verantworten mußte, wurde am Montag freigesprochen. Das Gericht folgte damit den Anträgen von Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Es ordnete eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft an.
Zu Beginn der Sitzung hatte das Gericht der Toten gedacht und den Überlebenden sein Mitgefühl ausgesprochen. Als Richter Rolf Wilcken danach den Freispruch verkündete, brachen Mitglieder der betroffenen Familie El Omari in Tränen aus und beschimpften den Angeklagten. El Omaris Anwalt war der einzige unter den Nebenklägern gewesen, der eine Verurteilung Safwan Eids gefordert hatte. Die Unterstützer des Angeklagten feierten das Urteil mit Beifall.
In seiner knappen Urteilsbegründung sagte Richter Wilcken, daß die Ruine des abgebrannten Hauses in der Lübecker Hafenstraße auch weiterhin zwei Geheimnisse in sich bergen werde: Wer hat das Gebäude vorsätzlich in Brand gesetzt, und warum hat ein Großteil der Bewohner seine Zeugenaussagen gefärbt? Der Richter beklagte viele unbeantwortete Fragen nach dem Prozeß. So habe man den genauen Zeitpunkt der Brandentstehung nicht definieren können. Ferner hätten die Ermittlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft nicht immer das Maß an zu fordernder Gründlichkeit erreicht. So hätten sich Beweislücken aufgetan, möglicherweise zu Lasten, aber auch zu Gunsten des Angeklagten.
Sicher ist sich das Gericht, wo das Feuer entstanden ist. Es siedelte eine primäre Brandquelle im ersten Stock des Gebäudes an und zwar an der Stelle, die auch der Gutachter des Landeskriminalamtes bezeichnet hatte. Die Richter orteten aber auch einen weiteren Primärbrand im hölzernen Vorbau. Die Theorie von zwei gleichzeitigen Brandherden war durch den von der Verteidigung benannten britischen Brandexperten Rodger Ide erst spät im Verfahren aufgetaucht. Das Gericht stellte weiter fest, daß die Haustür und die Fenster des Gebäudes verschlossen waren. Über den Zustand der Scheiben könne man keine Aussage treffen.
Was Safwan Eid betrifft, so hat das Gericht einige Auffälligkeiten bemerkt. Anderereits könne man sich nur schwer vorstellen, daß ein junger Mann in dem Haus, in dem seine Familie lebt, ein Feuer legt. Allerdings hält das Gericht den Hauptbelastungszeugen der Anklage für glaubwürdig. Es sei nicht einmal ansatzweise erkennbar, daß der Rettungssanitäter Jens Leonhardt, der von Eid die Worte gehört hatte, Wir warns, eine falsche Aussage gemacht habe. Auch Spekulationen, Leonhardt gehöre politisch ins rechte Spektrum, gehen fehl. Es spreche auch nicht allzuviel für die Vermutung, daß der Zeuge den Angeklagten mißverstanden habe.
Entscheidend für die Bewertung der Aussage des Kronzeugen sei jedoch gewesen, daß die von ihm geschilderten Äußerungen des Angeklagten sich mit dem objektiv ermittelten Brandgeschehen nicht in Übereinstimmung bringen lassen. Außerdem könnten die Worte Wir warns weder eine eigene Tathandlung des Angeklagten noch eine Beihilfe belegen. Es sei möglich, daß Eid nur Kenntnis von der Brandstiftung erhalten habe und seinen Informanten nicht richtig verstanden hat.
Die Verteidigung reagierte zurückhaltend auf das Urteil:
Wir wollten einen Freispruch und eine Entschädigung.
Beides haben wir bekommen. Die Staatsanwaltschaft wird noch
bekanntgeben, ob sie in Revision gehen will, weil das Lübecker
Gericht abgehörte Gespräche des Angeklagten im Besucherraum der
Haftanstalt nicht als Beweismittel zugelassen hat. (Seite 4)
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