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aus Süddeutsche Zeitung vom 25.07.1998
25.07.98
Politik

Prozeß um Brand in Lübecker Asylbewerberheim wird neu aufgerollt

BGH hebt Freispruch für Safwan Eid auf

Bei der bevorstehenden Verhandlung werden auch Protokolle von abgehörten Gesprächen des Libanesen verwertet

ker. Karlsruhe (Eigener Bericht) – Der Freispruch gegen den Libanesen Safwan Eid im Prozeß um die Lübecker Brandkatastrophe vom 18. Januar 1996 ist nicht rechtskräftig geworden. Eid muß sich nach einem von vier libanesischen Nebenklägern herbeigeführten Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vor dem Landgericht Kiel einer neuen Verhandlung wegen des Vorwurfs der besonders schweren Brandstiftung und der fahrlässigen Körperverletzung stellen. Dabei werden anders als im jetzt aufgehobenen Urteil des Landgerichts Lübeck vom 30. Juni des vergangenen Jahres auch die Protokolle von abgehörten Gesprächen Eids in der Untersuchungshaft verwertet. Diese enthalten einige ihn schwer belastende Aussagen, möglicherweise aber auch einige entlastende Gesichtspunkte, wie BGH-Richter Klaus Kutzer sagte. Der Kieler Prozeß könnte also erneut mit einem Freispuch, aber auch mit einer Verurteilung Eids wegen Täterschaft oder Beihilfe enden.

Der BGH erklärte es wegen der Schwere des Tatvorwurfs für zulässig, daß aufgrund richterlicher Anordnung Gespräche eines Untersuchungshäftlings in der Besucherzelle eines Gefängnisses abgehört und aufgezeichnet werden. Dies ergebe sich aus einer 1992 beschlossenen Ergänzung der Strafprozeßordnung unter der Überschrift „Maßnahmen ohne Wissen des Betroffenen“. Es handle sich auch unter Berücksichtigung der besonderen Situation des Untersuchungsgefangenen nicht um einen unverhältnismäßigen Eingriff in dessen Persönlichkeitsrecht, entschied der BGH. Auch der im Februar 1996, vor Einführung des großen Lauschangriffs, geltende verfassungsrechtliche Schutz der Wohnung ändere nichts an der Zulässigkeit des Abhörens. Anders als das Landgericht Lübeck entschied der BGH nämlich, die Besucherzelle einer Justizvollzugsanstalt sei keine Wohnung im Sinn des Grundgesetzes. Das ergebe sich aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das Hafträume nicht als Wohnung anerkenne. Daß auch Gespräche mit Dritten, sogar mit durch ein Zeugnisverweigerungsrecht besonders geschützten Familienmitgliedern, abgehört werden können, ergibt sich laut BGH aus dem Zweck des Gesetzes. Zu beachten sei lediglich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der hier nicht verletzt sei.

„Auch Nebenkläger und Angehörige haben einen Rechtsanspruch darauf, daß alle zulässigen Beweismittel erhoben werden“, sagte Richter Kutzer am Ende der Urteilsbegründung. Er hatte vorher ausführlich die Zulässigkeit des Revisionsantrags der aus vier Mitgliedern der Familie El-Omari bestehenden Nebenklägergruppe erläutert. Die Familie hatte bei dem Brand, dem zehn Menschen zum Opfer fielen, einen 17 Jahre alten Sohn verloren.

Die von Rechtsanwalt Wolfgang Clausen (Kiel) vorgetragene Revision hatte sich ausschließlich auf die Rüge der nicht verwerteten Gesprächsprotokolle gestützt. Nach den von Kutzer verlesenen Zitaten soll ein Bruder gesagt haben, er habe alle zum Schweigen gebracht. Eid solle sich als Unschuldiger darstellen. Kein Türke und kein Libanese werde gegen ihn aussagen. Eid selbst soll unter mehrmaliger Anrufung Gottes gesagt haben: „Wenn ich den Koran lese, erkenne ich meine Fehler. Ich weiß, was ich in und mit dem Gebäude gemacht habe.“

Der BGH wollte im Widerspruch zur übereinstimmenden Meinung der Bundesanwaltschaft und der Verteidiger Eids nicht ausschließen, daß der Freispruch gerade auf der unterlassenen Verwertung dieser Protokolle beruhe. Der Strafsenat erinnerte an weitere den Beschuldigten Eid belastende Umstände. Dieser habe zu einem Rettungssanitäter unmittelbar nach der Tat gesagt „Wir waren’s“ und habe Streitigkeiten im Heim als Motiv angegeben. Er habe seinen Kaftan ohne nachvollziehbare Gründe in einen Container geworfen. Ein technischer Defekt und eine Brandlegung von außen seien nach dem Lübecker Urteil ausgeschlossen. Das Feuer sei im ersten Stock gelegt worden, und man habe einen leeren Benzinkanister in der Wohnung der Familie des Angeklagten gefunden.

Mit der Eröffnung des neuen Prozesses gegen Eid ist nach Einschätzung der Kieler Justiz nicht mehr in diesem Jahr zu rechnen. Aus Justizkreisen verlautete, es werde allein „ein, zwei Monate“ dauern, bis die Akten in Kiel eingetroffen seien. Dann müßten sich Staatsanwaltschaft und Landgericht in die „schwierige und umfassende Materie“ einarbeiten.

Als „fatale Fehlentscheidung“ hat das Lübecker Bündnis gegen Rassismus die Aufhebung des Freispruchs für Eid bezeichnet. In einer Erklärung des Bündnisses heißt es, diese Entscheidung werde es noch schwieriger machen, die wirklichen Täter zu ermitteln und zur Verantwortung zu ziehen. (AZ: 3 StR 78/98)

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