nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Fri Sep  4 00:23:54 1998
 

2a Kls (29/96)

24.03.96

In der Strafsache
g e g e n
Safwan E i d

wird namens der Verteidigung einer Beweiserhebung und Beweisverwertung aller mit den Maßnahmen gemäß § 100c Abs.1 Nr.2 StPO in Zusammenhang stehenden Beweismitteln (Tonbänder, Niederschriften der Tonbänder, Zeugenvernehmungen und Sachverständigengutachten) widersprochen.

Es besteht ein Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot. Die Maßnahmen gem. § 100c Abs.1 Nr.2 StPO sind unter Verstoß gegen Art. 2 Abs.1 , 13 GG und unter Verstoß gegen §§ 100c Abs.1 Nr.2, 119 Abs.3, 136, 136a, 163a Abs.4 StPO zustandegekommen.

A.

Ehe im einzelnen der von der Verteidigung erhobene Beweiserhebungs- und Beweisverwertungswiderspruch betreffend die rechtswidrig durchgeführte 100c-Maßnahme begründet wird, seien vorab folgende Vorbemerkungen gestattet:

I.

Die Staatsanwaltschaft hat ihren Antrag auf Einführung der 100c-Maßnahmen mit folgenden denkwürdigen Sätzen geschlossen:

"Wer jedoch unschuldig ist, der braucht sich nicht als unschuldig darstellen. Wer hingegen schuldig ist, der muß betonen, daß es keine Beweise gegen ihn gibt."

Sie hat damit auf die Spitze getrieben, was Dr. Böckenhauer in seinem ersten Antrag auf Anordnung der 100c-Maßnahme vom 26.1.1996 mit folgenden Worten begonnen hatte:
"Die Erforschung des Sachverhalts wäre auf andere Weise (ohne Anordnung der 100c-Maßnahme, d. Uz) wesentlich erschwert, da der Beschuldigte nicht geständig ist" (SB 100c, Bl. 2).

Art. 6 Abs.2 MRK lautet:
"Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist"

und Art. 6 Abs.3 c MRK lautet:
"Jeder Angeklagte hat mindestens (englischer Text) - insbesondere (französischer Text) die folgenden Rechte:
(...)
c) sich selbst zu verteidigen (...)".

Beides, die Unschuldsvermutung einerseits und das Recht auf Verteidigung andererseits, folgen aus dem Rechtsstaatsprinzip, das Recht auf Verteidigung hat seinen verfassungsrechtlichen Niederschlag auch in Art. 103 Abs.1 GG gefunden, der das rechtliche Gehör als "objektivrechtliches Verfahrensprinzip" (Leibholz/ Rinck/ Hasselberger, Grundgesetz, Art. 103 Rz 16) statuiert, "das für ein gerichtliches Verfahren iS des Grundgesetzes konstitutiv und grundsätzlich unabdingbar ist" (aaO mwNachw) und verwehrt, "daß mit dem Menschen "kurzer Prozeß" gemacht wird" (BVerfGE 55,6).

Daß die Staatsanwaltschaft die als Menschenrecht kodifizierte Unschuldsvermutung nicht achtet, ist schon nicht mehr besonders überraschend, gleichwohl aber zu kritiseren. Daß die Staatsanwaltschaft nun allerdings für unseren Mandanten das Recht auf Verteidigung abschafft, ist nicht mehr hinzunehmen.

Denn was sagt die Staatsanwaltschaft: Wer sich darauf beruft, daß es gegen ihn keine Beweise gibt, d.h. sich verteidigt, ist schuldig. Aus dem Umstand, daß sich ein Beschuldigter verteidigt, wird auf seine Schuld geschlossen. D.h., die Wahrnehmung des kodifizierten Menschenrechts auf Verteidigung ist für die Staatsanwaltschaft ein Schuldeingeständnis. Ein solches Denken entstammt dem Mittelalter und hat mit einem rechtsstaatlichen Verfahrens nichts, aber auch gar nichts gemein. Was macht ein Unschuldiger nach Meinung der Staatsanwaltschaft? Verteidigen darf er sich nicht, denn würde er es tun, wäre er schuldig. Es bleibt ihm daher nichts als sich auszuliefern, Objekt zu werden und auf ein Wunder zu hoffen. Nach solchen Prinzipien funktionierte der Inquisitionsprozeß.

Es scheint an der Zeit, der Statsanwaltschaft nahe zu legen, rechtsstaatliche Grundprinzipien zu studieren und zu verinnerlichen, ehe sie ihre Tätigkeit fortsetzt.

II.

1. Bis zum heutigen Tage liegt eine zweifelsfreie Übersetzung der abgehörten Gespräche nicht vor. Bei den vorgelegten Übersetzungen -und insbesondere bei den von der Staatsanwaltschaft für den Antrag vom 19.03.1997 ausgesuchten Passagen- handelt es sich in weiten Teilen um nicht nachvollziehbares Kauderwelsch. Schon dies macht es unwahrscheinlich, daß die zitierten Übersetzungen dem Gespräch zweier ihrer Sinne mächtigen Menschen entsprechen.

2. Der Staatsanwaltschaft geht es offenbar aber gar nicht um den vermeintlichen Inhalt der zitierten Passagen aus den abgehörten Gesprächen. Selbst unterstellt, die Gespräche seien verlaufen, wie behauptet, ergäbe sich daraus nichts Belastendes gegen Safwan Eid und schon gar kein Geständnis. Zweck des Antrages scheint zu sein, ihn als Medium für den Transport von nicht auf Tatsachen, sondern auf Verfolgungsphantasien gegründeten Interpretationen und Meinungen der Staatsanwaltschaft zu nutzen. Die Staatsanwaltschaft weiß, daß die bisherige Hauptverhandlung nicht die Schuld von Safwan Eid, sondern die Haltlosigkeit der mit der Anklage gegen ihn erhobenen Vorwürfe erbracht hat. So folgt der Antrag der seit dem 19.Januar 1996 gewählten Devise: Er war es, auch wenn nichts dafür spricht.

3. Der Antrag der Staatsanwaltschaft gründet sich als Beweisermittlungsantrag auf die umstrittenen Übersetzungen und Meinungen eines offensichtlich befangenen Dolmetschers, des vorwiegend für das BKA arbeitenden und aus dem Norden Syriens stammenden Diplom-Ingenieurs Yachoua (SB 100c, Bl. 165). Der Staatsanwaltschaft müßte aufgefallen sein, daß dieser Übersetzer seine Schwierigkeiten mit

  1. den grammatischen Artikeln hat, wenn er in SB 100c, Bl. 115 übersetzt: "Der Anwalt sagt: "Dieser hat eine Aussage gegen (das/die/den), weil seine Aussage kein (*phon.: Msaiek) ist, die Aussage dieses deutschen Mannes." Verstehst Du?"
  2. ähnlich klingenden Wörtern des Tripoli-Dialekts hat, wenn er erst auf Nachfrage (SB 100c, Bl. 168) einräumt, daß es zwei ähnlich klingende Worte für Gebäude und Ohren gibt;
  3. der Wahrnehmung haben könnte, wenn er ein Weinen des Safwan Eid (SB 100c, Bl. 37) vermerkt, wo selbst der Stimmgutachter des BKA solches nicht feststellen kann (Bd. XVIII, 203 <206>) oder er ein "Mein Gott, verzeih mir" von Safwan Eid hören will, wo andere gar kein gesprochenes Wort mehr wahrnehmen können (SB 100c, Bl. 184).

4. Selbst die Arbeit dieses Dolmetschers wird aber von der Staatsanwaltschaft verfälscht, wenn sie dem gerade verfolgten Ziel zuwiderläuft. So wird aus dem am 08.02.1996 abgehörten Gespräch zwischen Safwan Eid und seinem Vater die Übersetzung zitiert:

"B: Ich weiß es nicht. Ich kenne den Grund nicht.

A: Wegen der Sklaven."

Die Staatsanwaltschaft schlußfolgert in ihrem Antrag aus der angeblichen Benutzung des Wortes "Sklaven", "daß das Verhältnis der arabischen Familie Eid zu den schwarzafrikanischen Hausbewohnern des Hauses Hafenstraße 52 nicht das beste gewesen sein kann."

Sie unterschlägt dabei, daß selbst der Dolmetscher Yachoua in der Originalübersetzung (SB 100c, Bl. 74) hinter das Wort "Sklaven" in Klammern die Erklärung geschrieben hat: "Gemeint sind schwarzhäutige Personen". Sie unterschlägt auch, daß der Dolmetscher Dr. Emari dieselbe Textstelle mit den Worten "Wegen der Neger" übersetzt hat.

5. Soweit es der Staatsanwaltschaft dienlich erscheint, findet der Dipl.-Ing. und Dolmetscher Yachoua allerdings auch als Sachverständiger für orientalische Theologie Verwendung, wenn er den Wortlaut widergibt, den Safwan Eid hätte herbeten müssen, um nach der von Staatsanwalt Dr. Böckenhauer vertretenen Rechtsauffassung in den Genuß der Unschuldsvermutung zu kommen: "Lieber Gott, Du hast mich gesehen, Du weißt, was ich gemacht habe, und Du hast auch das Geschehen gesehen. Du weißt, ich bin unschuldig. Ich bitte Dich, mir zu helfen."

Nun hat Safwan Eid diesen Wortlaut unbestritten nie benutzt. Aber selbst in den vorgelegten Übersetzungen findet sich eine Vielzahl ähnlicher -einem in Lübeck assimilierten jungen Orientalen angemessener- Äußerungen, die die Staatsanwaltschaft in einseitiger Verfolgung ihres Ziels ebenfalls unterschlägt:

Aus dem Gespräch mit Bilal Eid am 01.02.1996
Bl. 9:
Ich bin unschuldig
Bl. 10:
Wie spät ist es. Bei Gott, ich bin unschuldig...
...Wie kann ich jemanden töten, ich bin unschuldig...
...Habe gesagt, ich bin unschuldig
Bl. 11:
Bin ich ein Selbstmörder? Ich bin unschuldig...
Sie haben uns getötet, ist eine schlechte Welt, eine wilde Welt.
Bl. 46:
Ich habe gesagt: "Wir haben die Wahrheit erzählt und trotzdem habt ihr nicht geglaubt...
...ich habe die ganze Wahrheit gesagt, aber trotzdem glauben sie mir nicht.
Bl. 47:
Ich habe ihnen gesagt: "Meine Lieben, ich will keinen Selbstmord begehen, ich werde mich nicht töten. Ich bin unschuldig, ich will aus der Haft freigelassen werden."
Bl. 54:
Ich habe ihm gesagt: "Mein Lieber, wenn ich einen Apfel stehlen würde, würde ich zittern.
 
Aus dem Gespräch mit Marwan Eid am 08.02.1996
Bl. 71:
A: Gott ist an Deiner Seite, mein Sohn und die deutsche Gerichtsbarkeit ist, so Gott es will, gerecht. Der Botschafter hat mich beruhigt, indem er mehrmals gesagt hat: "Haben Sie überhaupt keine Angst. Es wird nichts anderes dabei herauskommen außer der Wahrheit und die deutsche Gerichtsbarkeit tut niemandem unrecht." Hast Du verstanden?

B: Ich weiß, daß sie niemandem unrecht tut. Aber sie haben mich ins Gefängnis gesteckt und verdächtigt.

Bl. 80:
B:
Sie wollen die Medien manipulieren, sie wollen die Medien manipulieren.

A: Ja, sie haben diese Tat gemacht, sie können sie nicht mehr rückgängig machen. Wir haben Gott und wir werden uns an ihm wenden. Wir haben Gott. Wir müssen Geduld haben. Wir müssen es ertragen.

B: Wir haben Geduld.

Bl. 80:
A: Mein Sohn, Gott möge uns von ihnen retten und die Gerichtigkeit wieder herstellen. Der, dem unrecht getan worden ist, möge keine Sorgen haben.

B: So Gott es will

 
Gespräch mit Bilal Eid am 16.02.1996
Bl. 119:
A: Und Gott wird ohne Zweifel den Unschuldigen von hier raußnehmen.
B: So Gott will, ich weiß.
A: Verstehst Du wie? Und sie wissen, daß Du unschuldig bist.
B: So Gott will. Ich weiß.
A: Sie kennen Dich, und sie wissen, daß Du unschuldig bist.
 
Gespräch mit Marwan Eid am 28.02.1996
Bl. 127.7:
B: Ich habe ihm gesagt: Ich habe meine Sache dem Gott überlassen. Aber sollten Sie mich für 18 oder 19 Jahre inhaftieren, so werde ich danach freigelassen und sagen, ich bin unschuldig....

Ich habe ihm gesagt: "Mein Herz ist zufrieden" (gem. Ich habe ein gutes Gewissen.)


B.

I.

Der von der Staatsanwaltschaft beantragten Beweiserhebung steht wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs.1 und 13 GG ein Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot entgegen.

1. § 100c StPO wurde durch das "Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungen der Organisierten Kriminalität" (v. 15.07.1992/ BGBl. I, 1302; III 450-23) in die StPO eingefügt. Eingriffe nach § 100c Abs.1 Nr.2 StPO sind nur außerhalb einer Wohnung gestattet (Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 100c Rz.5). Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, daß in Art. 11 OrgKG Art. 13 GG in der Liste der durch das Gesetz eingeschränkten Grundrechte nicht erwähnt wird.

Die Safwan Eid zum Zwecke des Empfangs von Besuch überlassene Zelle galt für die zur Verfügung gestellte Zeit als "Wohnung" und stand unter dem Schutz des Art. 13 GG.

Zu Unrecht hat die Staatsanwaltschaft behauptet, es gebe eine "ständige Rechtsprechung und herrschende Meinung", nach der Haftzellen, Besucherzellen und sonstige Räumlichkeiten einer JVA nicht als "Wohnung" zu klassifizieren seien. Die Bezugnahme auf eine Entscheidung des Reichsgerichts läßt vermuten, daß es an der Staatsanwaltschaft vorbeigegangen ist, daß das BVerfG bereits vor 25 Jahren eine generelle Einschränkung von Grundrechten der Gefangenen unter dem Gesichtspunkt des "besonderen Gewaltverhältnisses" für nicht zulässig erachtet und als "überkommene Auffassung" bezeichnet hat (BVerfGE 33,1 <10 ff.>, Beschluß v. 14.03.1972 in Bezug auf Strafgefangene).

Auch der Rückgriff auf BVerfG NJW 1996, 2643 f. geht fehl. Zwar findet sich dort unter Bezugnahme auf einen Kommentator zum StVollzG der Satz: "...denn der Schutzbereich des Art.13 GG umfaßt nicht Hafträume einer Justizvollzugsanstalt". Es handelt sich bei dem Beschluß aber nicht um eine Entscheidung des BVerfG -und schon gar nicht um eine ständige Rechtsprechung-, sondern um einen Nichtannahmebeschluß eines Vorprüfungsausschusses betreffend der speziellen Frage, ob ein Betreten der Hafträume von Strafgefangenen ohne vorheriges Anklopfen dessen Grundrechte verletzt. Der Nichtannahmeentscheidung liegt offensichtlich keine tiefergehende Prüfung der hier interessierenden Rechtsfrage zugrunde. Denn schon die Tatsache, daß § 196 StVollzG (Einschränkung von Grundrechten) Art. 13 GG nicht nennt, spricht dagegen, daß der Gesetzgeber dem Strafgefangenen den Schutz aus dieser Verfassungsnorm grundsätzlich und vollständig absprechen wollte.

Art. 13 GG ist ein Menschenrecht und schützt auch Ausländer. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist der Begriff der "Wohnung" aus Art. 13 GG weit auszulegen (BVerfGE 32, 54 ff <68 ff.>). In der zitierten Entscheidung heißt es zum Begriff "Wohnung" (BVerfGE 32, 72): "Der Wortlaut des Art.13 GG kann (...) nicht entscheidend sein. Die sprachliche Einkleidung dieses Grundrechts hat seit jeher die juristische Präzision zugunsten des feierlichen Pathos einer einprägsamen Kurzformel zurücktreten lassen. "Wohnung" ist in diesem Zusammenhang immer im Sinn der "räumlichen Privatsphäre" verstanden worden."

"Wohnung" iSv Art. 13 GG ist nach dem Beschluß des BGH vom 15.01.1997 (StV 1997, 114 ff. <115>) unter Verweis auf die Literatur (Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art.13 Rz. 3c; Herdegen in BK, Lfg. Oktober 1993, Art.13 Rz. 26 ff.) jeder nicht allgemein zugängliche Raum, der zur Stätte des Aufenthalts oder Wirkens von Menschen gemacht wird. Art. 13 GG schützt die Verfassungsrechte der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs.1 GG) räumlich. Seit der Mikrozensusentscheidung des BVerfG (E 27, 1 <6>) ist geklärt, daß "dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein "Innenraum" verbleiben muß, in dem er "sich selbst besitzt" und "in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt." Das BVerfG erkennt einen "absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung" an, in den nicht eingegriffen werden darf und der Abwägungsgesichtspunkten nicht zugänglich ist (BVerfGE 34, 238 <245>).

Diese Grundsätze enden nicht an den Pforten der Untersuchungshaftanstalt. Der Untersuchungsgefangene gilt als unschuldig (Art. 6 Abs.2 MRK). Bezüglich seiner Rechtspositionen muß er nur solche Beschränkungen hinnehmen, die erforderlich und geeignet sind, eine Gefährdung des Haftzwecks oder eine Störung der Anstaltsordnung zu verhindern, § 119 Abs.3 StPO (vgl. BVerfGE 42, 95 <100>).

Es gibt keinen rechtlich nachvollziehbaren Grund, den Schutz des Art. 13 GG bezüglich der ihm von der Anstaltsleitung für seine persönliche Lebensgestaltung -sei es auch auf Zeit- überlassenen Räumlichkeiten auszunehmen. Der Empfang von Besuchen und die hiermit verbundene Pflege von sozialen Kontakten sind Akt der persönlichen Lebensgestaltung in seinem Kernbereich (Art. 1 Abs.1, 2 Abs. 1 GG). Gerade bei Verwandtenbesuchen ist der Schutz der "räumlichen Privatsphäre" umso bedeutsamer, als beim Untersuchungsgefangenen das durch Art.6 Abs.1 GG staatlich besonders geschützte Familienleben räumlich auf die Besucherzelle beschränkt ist.

Die Position der Staatsanwaltschaft, nicht Herr Eid sondern die Verwaltung der JVA selbst sei "Berechtigte(r)" gewesen, soweit es die Nutzung der Besucherzelle betraf, in der er abgehört wurde, ist weder logisch, noch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten haltbar. Für die funktionelle Zuordnung zur Privatsphäre ist die nach außen erkennbare Zweckbestimmung des Nutzungsberechtigten maßgeblich (BVerfGE 32, 54 <75>). Zweck der Überlassung der Besucherzelle ist das Empfangen von Besuch und damit die Ermöglichung eines Stückes individueller Lebensgestaltung für den Gefangenen. Dies ist kein Gnadenakt, sondern rechtlich zwingender Ausdruck verfassungsrechtlicher Positionen des Gefangenen, in die ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht eingegriffen werden darf.

2. Die Staatsanwaltschaft meint, die Verfassungsrechte des Herrn Eid aus Art. 13 GG durch die Bezugnahme auf Nr. 27 (Besuchsüberwachung) und 61 (Durchsuchung von Sachen und Hafträumen) UVollzO (§§ 27 und 84 StVollzO sind hier nicht von Belang) beseitigen zu können. Sie behauptet, die Zulässigkeit von Überwachungen und Durchsuchungen im Rahmen der UVollzO und des StVollzG seien Beweis dafür, daß es sich bei einem Haftraum nicht um ein von Art. 13 GG geschützten Bereich handele.

Die Argumentation der Staatsanwaltschaft beweist, daß sie den grundlegenden Unterschied zwischen präventiven Maßnahmen der Gefahrenabwehr und repressiven Maßnahmen zu Ermittlungszwecken nicht begriffen hat. Der sich über solche Maßnahmen im Antrag vom 19.03.1997 über Seiten hinziehende Gedankenbrei gipfelt in der Schlußfolgerung, Safwan Eid könne sich schon deshalb nicht auf sein Grundrecht berufen, weil sich in einer Besucherzelle eine Privatsphäre sowieso nicht entwickeln könne. Da er zudem Verdacht geschöpft habe, abgehört zu werden, habe er auch subjektiv das Besuchsgespräch nicht als "Ausfluß höchst persönlicher Privatsphäre" begreifen dürfen, habe sich mit diesem Verdacht gleichsam selbst das Grundrecht abgeschnitten. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft ist in höchstem Maße rechtsirrig.

Maßnahmen nach § 119 Abs.3 StPO, wie etwa die Besuchsüberwachung oder die Durchsuchungen der Sachen und des Haftraumes, dienen ausschließlich der Gefahrenabwehr und haben nichts mit einer Durchsuchung zu Ermittlungszwecken zu tun.

Für eine Durchsuchung eines Haftraumes zu Ermittlungszwecken ist grundsätzlich ein richterlicher Beschluß erforderlich. Es gelten §§ 102, 105 StPO und nicht die UVollzO.

Grundrechtseingriffe aufgrund von § 119 Abs.3 StPO sind nur zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Haftzwecks oder eine Störung der Anstaltsordnung vorliegen (BVerfGE 35, 5 <9f.>); 42, 234 <236>). Die im Rahmen des § 119 Abs.3 StPO zulässigen Maßnahmen sind ausschließlich präventiver, nicht repressiver Natur. Prävention und Repression sind artverschieden. Die Legitimität einer Maßnahme bei dem einen muß nicht auch für das andere gelten. Daß dies gerade auch für Grundrechtseingriffe gilt, zeigen die Schranken des Art. 13 GG: Während Abs.3 Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 13 GG zu Zwecken der Gefahrenabwehr "auf Grund eines Gesetzes" zuläßt, beschränkt Abs.2 die zu repressiven Zwecken zulässigen Maßnahmen auf die Durchsuchung und etabliert zugleich einen Richtervorbehalt.

Danach ist nicht zweifelhaft, daß die Maßnahme gemäß 100c Abs.1 Nr.2 StPO wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs.1 und Art. 13 GG unzulässig war.

 

II.

Der von der Staatsanwaltschaft beantragten Beweiserhebung steht ein Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot gem. §§ 136, 136 a, 163 a Abs.4 StPO entgegen.

In einer vernehmungsähnlichen Situation ist auf die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Beschuldigten mit unzulässigen Mitteln eingewirkt worden.

Bestimmende Elemente sind ein rechtswidrig verhängtes Kontaktverbot, die Täuschung über den Zweck der ab 1.2.1996 zugelassenen Besuche, die Täuschung über die Überwachung der Besuche und der damit einhergehende Mißbrauch der Untersuchungshaft zu prozeßordnungswidrigen Zwecken.

Unter Verstoß gegen §§ 119 III, 136, 136 a, 163 a Abs.IV StPO wurde (erfolglos) versucht, Safwan Eid mittels Maßnahmen gem. § 100c Abs.1 Nr.2 StPO ein Geständnis zu entlocken.

Es bestehen schon Zweifel, ob nach Aktenlage am 20.1.1996 ein dringender Tatverdacht angenommen werden konnte. Unabhängig davon drängt sich jedoch angesichts der der Anordnung der Untersuchungshaft folgenden Maßnahmen der Verdacht auf, daß die Anordnung der Untersuchungshaft auch dem Zweck dienen sollte, ein Geständnis zu bekommen.

 

Die tatsächlichen Umstände, die diese Annahme rechtfertigen, sind folgende:

1. Der Beschuldigte Safwan Eid war bis zum Erlaß des Haftbefehls am 20.01.1996 mehrfach und ausführlich vernommen worden, nämlich am 19.01.1996 (II, 31 ff), am 20.1.1996 zweimal (II, 39-49 und II, 109-112) polizeilich und am 20.01.1996 richterlich (II, 119-121), ohne daß seine Aussage Anhaltspunkte ergeben hätte, die die gegen ihn erhobene Beschuldigung hätten stützen können. Nach dem 20.01.1996 fand die nächste förmliche Beschuldigtenvernehmung erst am 08.03.1996 (II, 200 ff) statt, obgleich der Beschuldigte sowohl am 24.1.1996 (II, 146), am 30.01.1996 (II, 179) und am 27.2.1996 (II, 193) anläßlich von Besuchen der Ermittlungsbeamten in der JVA seine Bereitschaft zu weiteren Beschuldigtenvernehmungen erklärt und weiterhin seine Unschuld beteuert hatte.

Daß die Ermittlungsbeamten in der Zeit vom 21.01.1996 bis 7.3.1996 zwar drei Gespräche mit dem Beschuldigten führten, jedoch auf eine förmliche Beschuldigtenvernehmung verzichteten, überrascht dann nicht, wenn man sich vor Augen führt, daß zwischenzeitlich die Maßnahmen gem. § 100c angeordnet worden waren.

Hierzu ergibt die Aktenlage folgendes:
Am 26.01.1996 stellte StA Dr. Böckenhauer den Antrag, "gem. § 100c Abs.1 Nr. 2 StPO anzuordnen, daß das nicht öffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden kann" (SB 100c, Bl. 1). Zur Begründung des von ihm gewünschten Lauschangriffs hatte er ausgeführt:

"Ausweislich Bl. 9 Band V d.A. hat der Verteidiger des Beschuldigten beantragt, dem Bruder des Beschuldigten , Herrn Bilal Eid, eine Besuchserlaubnis zu erteilen
(...) Dem Besucher soll die Erlaubnis erteilt werden, in Gegenwart von einem JVA-Beamten mit dem Beschuldigten zu sprechen, auch in arabischer Sprache. Es sollen technische Mittel zur Abhörung und Aufzeichnung des Gesprächs, vorausichtlich eine sog. "Wanze" oder ein verstecktes Mikrofon bzw. ein Aufzeichnungsgerät verwandt werden.

Dem Beschuldigten wird Mord (...) und besonders schwere Brandstiftung (...), mithin Katalogtaten des § 100 a Nr. 2 StPO, vorgeworfen. Die Erforschung des Sachverhalts wäre auf andere Weise wesentlich erschwert, da der Beschuldigte nicht geständig ist. Da dem Beschuldigten kein anderer Besuch, insbesondere durch Verwandte zugebilligt wird, da dies den Ermittlungszweck gefährden könnte, wird mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein, daß sich der Beschuldigte gegenüber seinem Bruder zum Tatgeschehen und zu seiner Täterschaft bzw. Tatbeteiligung weiterer Personen äußern wird. Das gesamte Gespräch mit dem Bruder des Beschuldigten soll abgehört und aufgezeichnet werden" (SB 100c, Bl. 1,2).

Ein entsprechender Beschluß wurde noch am selben Tag, dem 26.01.1996, erlassen (SB 100c, Bl. 3). Der Ermittlungsrichter befand, daß "es für die Ermittlungen unerläßlich (sei) zu erfahren, was mit seinen Besuchern besprochen wird", "da der Beschuldigte bisher die Tat bestreitet" (SB 100c, Bl. 3). "Die Erforschung des Sachverhalts wäre auf andere Weise wesentlich erschwert , sogar aussichtslos" (SB 100c, Bl. 3).

Aufgrund dieses und eines weiteren Beschlusses vom 06.02.1996 (SB 100c, Bl. 61) wurden in der Zeit vom 1.2.1996 bis 28.2.1996 die Gespräche des Beschuldigten mit seinen Brüdern Bilal und Mohamed sowie seinem Vater Marwan und seinemFreund Bassam Trad abgehört und aufgezeichnet.

Bezogen auf die Tatsache, daß die Ermittlungsbeamten in der Zeit vom 21.01.1996 bis 7.3.1996 auf die Durchführung förmlicher Beschuldigtenvernehmungen des Safwan Eid verzichteten, ergibt sich, daß es nicht mehr darum ging, dem Beschuldigten unter Respektierung seiner Beschuldigtenrechte aus § 136 StPO (Belehrung, Wahrnehmung des Rechts auf anwaltlichen Beistand) die Möglichkeit einzuräumen, zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf Stellung zu nehmen. Ziel war vielmehr, unter bewußter Umgehung der Belehrungspflichten gem. § 136 StPO Äußerungen von dem Beschuldigten zu erlangen, von denen erwartet wurde, daß sie selbst- belastenden Inhalts sein würden.

Der Verzicht auf die förmlichen Beschuldigtenvernehmungen in der Zeit vom 21.01.1996 bis 07.03.1996 bei gleichzeitig durchgeführter Abhörmaßnahme gem. § 100c StPO läßt daher nur den Schluß zu, daß mittels des Einsatzes des 100c Abs.1 Nr.2 StPO die Belehrungspflichten umgangen werden sollten, um endlich das erwünschte Geständnis, daß der belehrte Beschuldigte nicht abgegeben hatte, zu erlangen.

 

2. Doch darin erschöpfte sich das von den Ermittlungsbehörden errichtete Szenarium noch nicht.

Wie sich aus der Antragsbegründung des StA Dr. Böckenhauer zu § 100c Abs.1 Nr.2 StPO ergibt, vertrat er die Auffassung, Verwandtenbesuche könnten den Ermittlungs-zweck gefährden. Wie sich ebenfalls aus der Antragsbegründung ergibt, hatte er aus diesen Gründen ab 20.1.1996 jeglichen Kontakt des Beschuldigten zu seinen nahen Familienangehörigen verweigert. Dieses Kontaktverbot war zweifelsfrei rechtswidrig. Denn der besondere Schutz von Ehe und Familie, wie er durch Art. 6 GG statuiert ist, erfordert es, nahen Familienahgeörigen selbst dann eine Besuchserlaubnis zu erteilen, wenn sie als Mitbeschuldigte in Betracht kommen.

Einer Gefährdung des Untersuchungszweckes ist ggfs. durch optische und akustischeÜberwachung zu begegnen (vgl. LG Berlin StV 92, 282; KG StV 92, 478; OLG Hamburg, in: Bremer/Schlothauer/Taschke/Weider, Die Rechtsprechung zum Strafverfahrensrecht, § 119 Nr. 15; OLG Düsseldorf, aaO, Nr. 10).

StA Dr. Böckenhauer verknüpfte, wie seine Antragsbegründung hinreichend deutlich werden läßt, prozessual rechtswidrig, die erwarteten Wirkungen des rechtswidrig verhängten Kontaktverbots unter bewußter Ausnutzung der angeordneten Untersuchungshaft mit dem Zweck, von dem seine Unschuld beteuernden Beschuldigten ein Geständnis zu erlangen.

Er schrieb: "Da dem Beschuldigten kein anderer Besuch, insbesondere durch Verwandte zugebilligt wird, (...) wird mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein, daß sich der Beschuldigte gegenüber seinem Bruder zum Tatgeschehen und zu seiner Täterschaft bzw. Tatbeteiligung oder der Täterschaft bzw. Tatbeteiligung weiterer Personen äußern wird" (SB 100c, Bl. 1,2).

Dh: StA Dr. Böckenhauer setzte darauf, daß die angeordnete Untersuchungshaft und die rechtswidrige Kontaktsperre zu seinen Verwandten den Beschuldigten psychisch derart zermürben würde, daß - so die Erwartung der StA - das erwartete Geständnis aus ihm herausbrechen würde, sobald er nach einer ausreichend langen Dauer von Isolation, die die StA auf 11 Tage bemessen hat, mit einem nahen Verwandten zusammentreffen würde.

Hieran, nämlich an der Verknüpfung der Wirkungen des Kontaktverbots auf den Beschuldigten mit der Zulassung der Besuche unter den Abhörbedingungen des § 100c Abs.1 Nr. 2 StPO zeigt sich, daß es den Strafverfolgungsbehörden darum ging, durch die Anordnung von Isolationsmaßnahmen unter Mißbrauch der Untersuchungshaft und unter Umgehung des § 136 StPO von dem Beschuldigten ein Geständnis zu erlangen. Denn Zweck der Untersuchungshaft ist "ausschließlich die Durchsetzung des Anspruchs der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters" (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Auflage, Vor § 112 Rz 5 mwN). Die Untersuchungshaft "soll die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens gewährleisten und die spätere Vollstreckung eines auf Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Sicherungsmaßregeln lautendes Urteil sicherstellen(...). Sie darf nicht dazu mißbraucht werden, um das Aussageverhalten des Beschuldigten zu be-einflussen"(aaO).

Genau dies, nämlich das Aussageverhalten des Beschuldigten zu beeinflussen, war aber Intention der Strafverfolgungsorgane. Mittel der Einflußnahme waren die insofern miß-bräuchlich ausgenutzte Untersuchungshaft und das zielgerichtet zur Zermürbung eingesetzte Kontaktverbot.

 

3. Hinzu kommt, daß der Beschuldigte von den Strafverfolgungsbehörden über den Zweck der von ihnen unter den Bedingungen des § 100c Abs.1 Nr. 2 StPO zugelassenen Besuche getäuscht wurde. Auch diese Täuschung diente dem Ziel, die Freiheit der Willensentschließung des Beschuldigten zu beeinträchtigen.

Die abgehörten Besuche fanden in Gegenwart eines JVA-Beamten statt. Dem Beschuldigten und seinen Besuchern wurde gleichwohl gestattet, ihre Gespräche in arabischer Sprache zu führen. Wäre durch solche Besuche der Ermittlungszweck, wie StA Dr. Böckenhauer in seiner Antragsbegründung behauptet hat, gefährdet gewesen, hätten die Besuche von einem vereidigten Dolmetscher in Anwesenheit eines Beamten überwacht werden müssen. Wie die StA in ihrem Antrag vom 19.03.1996 (Seite 9) ausführt, "wußte" der Angeklagte nicht, "ob der Beamte der Justizvollzugsanstalt der arabischen Sprache mächtig war".

Dh, dem Angeklagten sollte suggeriert werden, bei den Besuchen handele es sich um ganz normale Besuche zum Zwecke der Pflege der familiären Beziehungen, die unterbrochen oder abgebrochen würden, wenn der Ermittlungszweck durch die Gespräche gefährdet wäre. Noch im Antrag vom 19.3.1997 versucht die StA, ihr Täuschungsmanöver fortzusetzen, wenn sie schreibt:

"Auch die Besuche des Angeklagten wurden von einem Beamten der Justizvollzugsanstalt gem. Nr. 27 UVollzO überwacht. Der Beamte war gem. Nr. 27 Abs.3 UVollzO befugt, einzugreifen, wenn ihm der Inhalt der Unterredung im Hinblick auf das Strafverfahren bedenklich erschien" (S. 9, Antrag vom 19.3.1997).

Das Gegenteil dürfte der Fall gewesen sein. Der Beamte sollte nur zum Schein überwachen. Er sollte gerade nicht eingreifen, wenn das gegen Safwan Eid gerichtete Ermittlungsverfahren zum Gegenstand des Gesprächs gemacht werden würde. Der Zweck der Zulassung der Besuche bestand ja gerade darin, daß der Beschuldigte mit seinen Verwandten über das gegen ihn gerichtete Strafverfahren spreche.

Zugespitzt formuliert: Es gab eine Inszenierung, in der alles darauf ausgerichtet .war, daß die Opfer dieser Inszenierung, Safwan Eid und seine Verwandten, den Eindruck gewinnen sollten und mußten, als handele es sich um einen, gem. § 119 Abs.3 StPO zugelassenen und überwachten Besuch. Hierdurch sollte vom eigentlichen Ziel der Ermittlungsbehörden, durch die 100c-Maßnahme ein Geständnis zu erlangen, abgelenkt werden.

Daraus folgt: Der Beschuldigte ist zum Zwecke der Einflußnahme auf die Freiheit seiner Willensentschließung getäuscht worden. Die Täuschung beschränkte sich gerade nicht auf die ihrem Charakter nach heimliche Maßnahme des § 100c Abs.1 Nr.2 StPO, vielmehr inszenierten die Ermittlungsbehörden durch aktives Tun eine über die Heimlichkeit des 100c StPO hinausgehende Täuschung, indem sie eine Staffage erstellten, die den Eindruck hervorrufen sollte, es handele sich um einen normalen Besuch.

Dies alles wäre ohne Anordnung der Untersuchungshaft nicht möglich gewesen, denn Gespräche unter Familienangehörigen, wie die StA sie abgehört und aufgezeichnet hat, finden überlicherweise nicht in Pkws , und da alle Angehörigen der Familie Eid in einer Wohnung leben, auch nicht am Telefon, sondern in der Wohnung statt. Es ist daher Unsinn, wenn die StA in ihrem Antrag vom 19.03.1997 schreibt, es habe sich für den Beschuldigten Safwan Eid mit den Abhörmaßnahmen nur ein allgemeines Lebensrisiko, vergleichbar dem Abhören von Gesprächen im Pkw oder am Telefon, realisiert.

 

4. Abschließend eine Bemerkung zu der Frage, ob es sich bei der durchgeführten Abhörmaßnahme um eine Vernehmung oder eine vernehmungsähnliche Situation handelt. Dem Wortlaut nach gelten §§ 136, 136 a, 163 a Abs.4 StPO nur für Vernehmungen. "Sie sind aber entsprechend auch auf den Fall anzuwenden, daß Strafverfolgungsbehörden mit verbotenen Mitteln auf den Beschuldigten ein-wirken, damit er gegenüber einer Privatperson, die dann als Zeuge vernommen werden soll, bestimmte Angaben zu einer - im Zeitpunkt der Äußerung bereits abgeschlossenen - Tat macht" (BGHSt 34, 363).

Vorliegend, dies ist gezeigt worden, wurden die Familienangehörigen des Beschuldigten zielgerichtet eingesetzt, um den (untauglichen) Versuch zu machen, von dem Beschuldigten ein Geständnis zu erlangen. Daß ihnen diese ihre Funktion nicht bewußt war, daß sie also von den Ermittlungsbehörden als undoloses Werkzeug eingesetzt wurden, ändert nichts. Auch auf die Freiwilligkeit ihres Gesprächs mit dem Beschuldigten und die Freiwilligkeit des Beschuldigten, mit ihnen zu sprechen, kommt es nicht an.

Hinsichtlich dieses Gesichtspunktes unterscheidet sich der vorliegende Fall in nichts von dem Fall, der der Entscheidung des 5. Strafsenat vom 28.4.1987 zugrundelag. Im Gegenteil: Der Umstand, daß die Ermittlungsbehörden die von ihnen gewollten Besuchsgespräche direkt mit den geheimdienstlichen Mitteln des § 100c Abs.1 Nr. 2 StPO abgehört und aufgezeichnet haben und der weitere Umstand, daß eine solche Maßnahme als Grundrechtsverstoß absolut unzulässig gewesen wäre, wenn der Beschuldigte sich in Freiheit befunden und in der familiären Sphäre der Wohnung Gesprächegeführt hätte, verschärfen die Prozeßordnungswidrigkeit eher, als daß sie sie abmildern. Soweit es um eine analoge Anwendung der §§ 136, 136a, 163 a StPO auf vernehmungsähnliche Situationen geht, ist kein Gesichtspunkt erkennbar, der den Fall des eingeschleusten V-Mannes von dem vorliegenden Fall unterscheidet, bei dem undolose Familienangehörige, allein zu dem Zweck "eingeschleust" wurden, ihre Gespräche abzuhören und aufzuzeichnen.

 

III.

Unabhängig davon, ob wegen Verstoßes gegen Art.13 und 2 Abs.1 GG oder wegen Verstoßes gegen die §§ 136, 136a, 163a Abs.4 StPO ein Beweiserhebungs- und Beweisverwertungverbot gegeben ist, lagen weder am 26.01.1996 noch am 06.02.1996 die Eingriffsvoraussetzungen des § 100c StPO vor. Die Abhörmaßnahmen waren unzulässig. Auch dies führt zu einem Beweiserhebung- und -verwertungsverbot.

Voraussetzungen des § 100c Abs.1 Nr.2 StPO in dem hier interessierenden Umfang sind:

Daß beim Brandanschlag auf das Haus Hafenstraße 52 in Lübeck eine Katalogtat iSd §§ 100c Abs.1 Zif.2 iVm 100a S.1 Zif.2 StPO gegeben war, steht außer Frage. Ob "bestimmte Tatsachen" vorlagen, daß Safwan Eid diese Katalogtat begangen hat, ist zu bezweifeln.

"Bestimmte Tatsachen" sind abzugrenzen gegen bloße Mutmaßungen und Befürchtungen. Diese reichen nicht. Gemeinhin wird für "bestimmte Tatsachen" derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad für ausreichend, aber auch notwendig erachtet, wie beim dringenden Tatverdacht (vgl. Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 112 Rz.. 22). Für die Verteidigung steht aufgrund des vorliegenden Aktenmaterials und der bisherigen Beweisaufnahme fest, daß gegen Safwan Eid weder am 20.01.1996 noch danach ein dringender Tatverdacht bestand. Es lagen daher auch keine "bestimmten Tatsachen" vor, daß Safwan Eid eine Katalogtat begangen habe.

Die Anträge der Staatsanwaltschaft vom 26.01.1996 und vom 06.02.1996 und die Beschlüsse des Amtsgerichts erfüllen nicht einmal die formellen Voraussetzungen für den Erlaß einer Anordnung nach § 100c Abs.1 Nr.2 StPO. Sie enthalten keine "bestimmte Tatsachen" für den Verdacht, daß Safwan Eid eine Katalogtat begangen hätte.

Unabhängig davon, ob man vorliegend für den Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahmen nach § 100 Abs.1 Nr.2 StPO am 26.01.1996 und am 06.02.1996 "dringenden Tatverdacht" oder "bestimmte Tatsachen" bejaht oder verneint, wurde der Subsidiaritätsgrundsatz gröblich verletzt. Die Anordnung eines Lauschangriffs gegen den Beschuldigten darf nämlich nur dann erfolgen, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Aussichtslos ist sie nur dann, wenn andere Aufklärungsmittel nicht vorhanden sind. Vorliegend gab es eine Unmenge anderer Aufklärungsmittel. So hätten Durchbrennungen und Fenster im Vorbau, Drahtglasfüllungen, Leichtmetallklumpen, Fensterglas, Treppenmaterial, Spanplatten, Estrichbeton-/ Eternit- oder sonstige Fußbodenplatten, Bekleidung von tatverdächtigen Grevsmühlener Jugendlichen oder deren Wartburg untersucht werden können. Es hätte sich auch angeboten, eine Vielzahl weiterer Zeugen (Stichwort: Berufsbildungsstätte) zu vernehmen. Diese zur Verfügung stehenden Aufklärungsmittel wurden aber nicht genutzt, weil die Staatsanwaltschaft sich auf Safwan Eid als Täter festgelegt hatte.

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Antrag vom 26.01.1996 (SB 100c, Bl.2) die vermeintliche Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes lapidar wie folgt begründet:
"Die Erforschung des Sachverhalts wäre auf andere Weise wesentlich erschwert, da der Beschuldigte nicht geständig ist."

Würde diese Argumentation einer gerichtlichen Überprüfung standhalten, gäbe es kein oder kaum ein Strafverfahren mehr, in dem nicht geheimdienstliche Mittel eingesetzt werden könnten. Denn in der Regel können die Ermittlungsbehörden nicht immer dann mit einem Geständnis rechnen, wenn der Beschuldigte mit dem gegen ihn erhobenen Vorwurf konfrontiert wird. Tatsächlich offenbart die zitierte Begründung des Antrages ein im Umgang mit Beschuldigtenrechten rechtssaatswidriges Rechtsverständnis. Der Beschuldigte hat das kodifizierte Menschenrecht, sich zu verteidigen. Dazu gehört, die Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Vorwurfs zu bestreiten.

Was hatte Safwan Eid getan, nachdem gegen ihn die ungeheuerliche Beschuldigung erhoben worden war, er habe das Haus Hafenstraße 52 in Brand gesteckt, um sich zu rächen? Er hatte sich mit zulässigen Mitteln verteidigt, hatte dargelegt, wie er dem Feuer entkommen war. Er hatte auf jede Frage eine Antwort gegeben und seine Unschuld beteuert. Ein zweifellos zulässiges Verteidigungsverhalten.

Solch zulässiges Verteidigungsverhalten kann niemals ein Grund dafür sein anzunehmen, die Erforschung des Sachverhalts sei auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert. Der Strafprozeß wird von dem Grundsatz des "nemo tenetur se ipsum accusare" beherrscht: Niemand darf gezwungen werden, gegen sich selbst auszusagen. Es darf auch niemand gezwungen werden, Beweismittel gegen sich selbst zu sein. Die Beweislast für die Richtigkeit des erhobenen Vorwurfs liegt nicht beim Beschuldigten, sondern bei den Ermittlungsbehörden. Sie haben die Verpflichtung, den Sachverhalt mit zulässigen Mitteln zu erforschen, unabhängig davon, ob und wie sich der Beschuldigte verteidigt.

Auch die Begründung des richterlichen Beschlusses vom 26.01.1996 (SB 100c, Bl.3) läßt eine den Beschuldigtenrechten Rechnung tragende Auseinandersetzung mit dem Subsidiaritätsgrundsatz vermissen. Dort heißt es:

"Da der Beschuldigte die Tat bestreitet, (...) ist es für die Ermittlungen unerläßlich zu erfahren, was mit seinen Besuchern besprochen wird. Die Erforschung des Sachverhalts wäre auf andere Weise erschwert, sogar aussichtslos."

Im zweiten Beschluß vom 06.02.1996 (SB 100c, Bl. 61) heißt es:
"Der Beschuldigte bestreitet die Tat. Es wurde ihm bisher versagt, Besucher zu empfangen, weil durch Besuche die Ermittlungen gefährdet werden konnten. Der weitere Verlauf des Verfahrens hat ergeben, daß dem Beschuldigten zugestanden wird, (...) seinen Vater zu Besuchszwecken zu empfangen. Es ist davon auszugehen, daß über das Tatgeschehen gesprochen wird. Aus diesem Grunde ist es erforderlich, den Inhalt der Gespräche zu erfahren, da andere Möglichkeiten, den Sachverhalt zu erforschen, nicht gegeben sind."

Diesen Beschlüssen liegt die Annahme zugrunde, für eine Erforschung des Sachverhalts stehe nur -sozusagen als einziges Beweismittel- der Beschuldigte zu Verfügung. Abgesehen davon, daß dies tatsächlich nicht zutraf, stellt der Beschluß den Rechtsgrundsatz auf: "Der Beschuldigte hat durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung zu schaffen". Einen solchen Rechtsgrundsatz kennt die StPO nicht. Es ist eines der grundlegenden Beschuldigtenrechte, in keiner Weise an den gegen ihn gerichteten Ermittlungen mitzuwirken (vgl. BVerfGE 56, 37 <49>). Eine Mitwirkung trotz Schweigerechts darf nur freiwillig erfolgen. Sie darf weder erzwungen noch erschlichen, noch unter Umgehung gesetzlicher Bestimmungen herbeigeführt werden (BGH St 34, 39 ff. <52>).

Der Subsidiaritätsgrundsatz ist in sein Gegenteil verkehrt worden. Nach einem in der StPO bisher nicht kodifizierten Prinzip: Das Geständnis des Beschuldigten ist das einzige Mittel, um den Sachverhalt aufzuklären. Es muß daher beschafft werden, gleichviel, mit welchen Mitteln.

Auch dieser Verstoß gegen § 100c Abs.1 Nr.2 StPO begründet ein Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot.

24.03.1996

Heinecke Klawitter
Rechtsanwältin Rechtsanwältin