An das
Landgericht
23568 Lübeck
12.02.97
- 2a KLs 29/96 -
In der Strafsache
gegen
Herrn Safwan Eid
wird beantragt:
1. das von der Kriminalpolizei im Rahmen der Ermittlungen zum Brand im Haus Hafenstr. 52 am 18.1. oder 19.1.1996 im Krankenhaus erstellte Foto des Zeugen Ray Sossou beizuziehen und der Verteidigung Einsicht zu gewähren;
2. sämtliche Ermittlungsvorgänge, die in Zusammenhang mit der Erstellung dieses Fotos entstanden sind oder die Bezug zu diesem Foto haben, beizuziehen und der Verteidigung Einsicht zu gewähren.
Gründe:
Ausweislich Band III, Bl. 273 d.A. würde der Zeugin Assia
El-Omari am 23.1.1996 um 14.15 Uhr ein Bild vorgelegt. Im
Vernehmungsprotokoll heißt es:
"Es ist jetzt 14.15 Uhr und mir wird jetzt ein Bild vorgelegt. Es ist richtig, daß das die Person gewesen ist, die ich am Haus gesehen habe Der Polizeibeamte hat den Namen zunächst mit dem Finger verdeckt. Ich kenne diese Person nur unter dem Namen "Ray". Der Nachname Sossou ist mir gänzlich unbekannt" (Band III, 273, 274).
Der Zeuge Ray Sossou hat in seiner Vernehmung am 10.2.1996 in der Hauptverhandlung angegeben, es sei, während er sich im Krankenhaus aufgehalten habe, seiner Erinnerung nach mittags, von ihm durch Polizeibeamte ein Foto erstellt worden Er habe nicht aus dem Bett aufstehen müssen. Es sei nicht am ersten Tag seines Krankenhausaufenthaltes gewesen
Der Zeuge hielt sich ausweislich SB Verletzte, Bl. 33 vom 18.1. bis 20.1.1996 im Krankenhaus auf. Er wurde ausweislich der Akten im Krankenhaus nur am 19,1.1996, allerdings dreimal, morgens, mittags und abends (Band III, 479, 482. 485), von Polizeibeamten aufgesucht.
Unter Berücksichtigung der Erinnerung des Zeugen ist daher davon auszugehen, daß das Foto an l9.1.1996 erstellt wurde. wenn nicht weitere Ermittlungsvorgänge in den Gerichtsakten fehlen, muß das Foto entweder von Buse oder Kahl oder von Asmussen und Callsen erstellt worden sein. denn diese Beamten haben ausweislich der Akte den Zeugen Ray Sossou am 19.1.1996 im Krankenhaus befragt.
Ein Foto von Ray Sossou befindet sich nicht in den Akten, die dem Gericht vorliegen. Wenn StA Dr. Böckenhauer in der Hauptverhandlung am 10.2.1996 gemeint hat, das gesuchte Foto in Band III, Bl. 520 auffinden zu können, so mußte er sich eines Besseren belehren lassen. Das Foto Band III, Bl. 520 zeigt Emanuel Uwaila, nicht jedoch Ray Sossou. Die Verteidigung sieht ihm diesen Irrtum nach.
Was die Verteidigung den Ermittlungsbehörden unter Einschluß der Staatsanwaltschaft allerdings nicht nachsieht, ist die Unterdrückung Von Aktenbestandteilen. Das Foto von Ray Sossou ist - nach vielen anderen - ein weiterer Beweis dafür, daß die dem Gericht vorgelegten Akten nun keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit erheben können.
Das Gericht hat sich dieser Erkenntnis nicht verschlossen und durch Beschluß vom 7.2.1997 entschieden, daß "sämtliche Unterlagen und Beweismittel (...), die Bezug zum vorliegenden Verfahren haben, von der Bezirkskriminalinspektion dem Gericht ausgehändigt werden" sollen.
Die Verteidigung ist allerdings skeptisch, ob dieser Beschluß ausreichen wird, die Ermittlungsbehörden zu veranlassen, das Versteckspiel um Aktenbestandteile und Asservate einzustellen. Denn warum, so muß man sich fragen, ist das Foto nicht zu den Akten genommen worden?
Schlamperei? Vielleicht, aber wollte man alle bisher in diesem Verfahren bekannten Beispiele von Aktenunterdrückung und Beweismittelvernichtung nur auf Schlamperei zurückführen, wäre die Dienstaufsicht doch wohl seit langer Zeit gefordert und müßten die Ermittlungsbeamten längst in den Streifendienst versetzt sein.
Es gibt andere Gründe als Schlamperei.
Ray Sossou war im Januar 1996 13 Jahre alt. Er konnte gegenüber der Polizei nicht wirksam die Einwilligung erteilen, daß zu Ermittlungszwecken ein oder mehrere Fotos von ihm erstellt werden. Die gesetzliche Vertreterin von Ray Sossou hat nach Aktenlage keine Genehmigung zur Erstellung eines Fotos ihres Sohnes durch die Kriminalpolizei erteilt. Ihre fehlende Genehmigung ist auch nicht durch gerichtlichen Beschluß ersetzt worden.
Die Voraussetzungen des § 163 b Abs. 2 StPO waren erkennbar nicht gegeben, weil die Identität von Ray Sossou feststand und feststeht. Maßnahmen zur Identitätsfeststellung - und dazu gehört die Erstellung von Fotos - sind gegen Unverdächtige nur zulässig, wenn die Identität nicht feststeht und die Identitätsfeststellung zur Aufklärung einer Straftat geboten ist (§ 163 b Abs.2 ).
Maßnahmen zur Identitätsfeststellung gern. §§ 81 b, 163 b Abs.1 StPO waren erst recht nicht zulässig, weil Ray Sossou nicht Verdächtiger und auch nicht Beschuldigter war. Selbst wenn die Ermittlungsbehörden gegen ihn einen Verdacht gehabt hätten, kämen §§ 81 b und 163 b Abs. 1 StPO als Rechtsgrundlage für die Erstellung eines Fotos nicht in Betracht, weil Ray Sossou schuldunfähig war.
Die Erstellung eines Fotos von Ray Sossou zu Ermittlungszwecken war daher unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten rechtswidrig.
Nun hat die Beweisaufnahme zur Genüge ergeben, daß die Ermittlungsbeamten der SoKo die Regeln der StPO, so z.B. hinsichtlich der Belehrungspflichten, grob mißachtet haben. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden. daß auch den Ermittlungsbeamten nicht verschlossen geblieben ist, daß ein Kind wie Ray strafprozessual anders zu behandeln ist als eine heranwachsende oder Erwachsene Person. Die Verteidigung hat daher die Vermutung, daß das Foto von Ray den Akten, die dem Gericht vorgelegt wurden, entzogen wurde, um diesen groben Rechtsbruch zu verheimlichen.
Die andere Möglichkeit besteht darin, daß Ray trotz Schuldunfähigkeit als Verdächtiger angesehen wurde und auch "in diese Richtung" ermittelt wurde Von der Hand zu weisen ist dieser Verdacht nicht, hat doch Dr. Böckenhauer in der bisherigen Beweisaufnahme keine Chance ausgelassen, Verdachtsschöpfung gegen Ray Sossou zu betreiben, sei es nun als "Ersatz"- oder als vermeintlicher "Mit-Täter".
Entspricht diese von der Verteidigung befürchtete Alternative der Wirklichkeit, so existieren natürlich weitere Ermittlungsvorgänge, die bisher vorenthalten wurden.
RAin Heinecke | RAin Klawitter |