junge Welt, Montag, 24. März 1997, Nr. 70, Seite 4, inland
>> Faschisten morden unpolitisch
> Bundeskriminalamt kann häufig kein rechtsextremes Motiv erkennen
Auf eine kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der PDS im Bundestag, Ulla Jelpke, hat die Bundesregierung über rechtsextremistische Brandanschläge und Tötungsdelikte in den Jahren 1995 und 1996 Auskunft erteilt.
In der Mitteilung der Bundesregierung heißt es, für das Jahr 1995 lägen keine Informationen über von Rechtsextremisten verübte Morde vor. Zwei Tötungsdelikte wurden aus der Statistik, die sich auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) bezieht, nachträglich entfernt, da im einen Fall »keine Anhaltspunkte für eine politische Organisation oder Motivation der Tat« vorlägen, im anderen »politische Motive als Ursache zu verneinen sind«. Im ersten Fall wurde am 5. Februar im nordrhein-westfälischen Velbert ein Obdachloser von sieben neofaschistischen Jugendlichen zusammengeschlagen und erstochen, im zweiten handelt es sich um den am 25. Mai in Hohenstein-Ernstthal (Sachsen) von Skinheads erschlagen 24jährigen Peter T. Die Täter hatten als Motiv eine »ausgeprägte rechtsorientierte Einstellung« genannt. Auch der kürzlich vom Gericht verurteilte Neonazi Thomas Lemke, der eines seiner beiden Opfer im Jahr 1995 ermordete, findet in der Auflistung keine Erwähnung. Ulla Jelpke führt für die Jahre 1994 und 1995 über 24 Morde mit rechtsextremistischem Hintergrund auf.
Auf die Frage nach versuchten Tötungsdelikten im Jahr 1995 erteilte die Bundesregierung über acht Fälle Auskunft; davon ereigneten sich fünf in Ost-, zwei in Westdeutschland und einer in Berlin. Das Archiv für Sozialpolitik in Frankfurt/Main berichtet allein für das erste Halbjahr 1995 von vier weiteren Tötungsdelikten. So findet der Briefbombenanschlag von Rechtsextremisten auf die Fernsehmoderatorin Arabella Kiesbauer am 9. Juni bei der Bundesregierung keine Erwähnung.
Für das Jahr 1996 ist dem BKA ein einziger Mord mit rechtsextremem Hintergrund bekannt: Am 20. Februar starb in Brandenburg der Punk Sven Beuter, der vom Skinhead Sascha Lücke zu Tode getreten wurde. Außerdem werden zwölf versuchte Tötungsdelikte angeführt. Ein besonderes Motiv bescheinigte man dabei einem 75jährigen, der in Oldenburg einen Türken mit mehreren Schüssen schwer verletzte: »Krankheitsbedingte Fremdenfeindlichkeit infolge geistiger Verwirrtheit«.
Im Gegensatz zu Morden oder Mordanschlägen ist bei fremdenfeindlich motivierten Brandanschlägen der Westen führend. In Bayern gab es vier Brandanschläge, gefolgt von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg mit jeweils drei Anschlägen. Insgesamt zählt die Bundesregierung 14 Anschläge, von denen sieben aufgeklärt werden konnten. Dabei wurden gegen drei der insgesamt 16 ermittelten Tatverdächtigen Haftbefehle erlassen.
Eva Völpel