- VON HEDWIG GAFGA -
Vom kommenden Montag an steht der 21jährige Safwan Eid in Lübeck vor Gericht. Der Asylbewerber aus dem Libanon soll das Flüchtlingsheim in der Hafenstraße angezündet haben, in dem in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar dieses Jahres zehn Menschen starben und 38 verletzt wurden. Besonders schwere Brandstiftung wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor.
Den Prozeßbeginn erschwert ein kaum durchschaubares Dickicht aus zweifelhaften Aussagen, einander widersprechenden Brandgutachten und vielen ungeklärten Fragen. Von Anfang an stürzten Ermittler, Prozeßbeteiligte und Aktionsgruppen die Öffentlichkeit in ein Wechselbad, das bis heute anhält. Noch in der Brandnacht waren vier Skinheads aus dem Ort Grevesmühlen in Mecklenburg verhaftet, aber Stunden später wieder freigelassen worden. Tags darauf gab die Aussage des Rettungssanitäters Jens L. dem Fall eine überraschende Wendung. Ihm hatte der Libanese angeblich gestanden: "Wir warn's" sowie vermeintliches Täterwissen offenbart. "Die warn's", will hingegen der Libanese in dem Gespräch gesagt haben.
Wer war(en) der oder die Täter? Kamen sie von draußen oder von drinnen? Die Skinheads aus dem Osten oder der Ausländer, selbst Bewohner des Flüchtlingsheims? Die geradezu idealtypischen Gegensätze luden vielfach dazu ein, das eigene Weltbild zu zementieren und als sicher zu verkünden, was nicht bewiesen ist. Für die einen kommen nur die Skins als Täter in Frage, die zugleich einen Beleg für ein ausländerfeindliches, gar mörderisches Klima im Lande bieten. Mit hörbarer Erleichterung, sogar Genugtuung hatten andere zuvor den Verdacht gegen den Bewohner des Flüchtlingsheims aufgenommen, bot er doch willkommenen Anlaß, über angebliche Nestbeschmutzer herzufallen, die zuvor laut die Deutschen angeklagt hatten.
So geriet die öffentliche Auseinandersetzung gelegentlich zum Glaubens- und Stellvertreterkrieg. Das "Antirepressionsbüro" rief Ende August dazu auf, "den Tätern auf die Pelle zu rücken ... auf nach Grevesmühlen! Free Safwan Eid!" Rund 200 Menschen fanden sich in dem mecklenburgischen Dorf ein. Die Industriegewerkschaft Medien gab einen fast 500 Seiten starken, materialreichen Dokumentationsband heraus, der jedoch das gewünschte Lektüreergebnis gleich zu Beginn formuliert: Man wolle an die Menschen erinnern, "die als Flüchtlinge in dieses Land kamen und von deutschen Mördern umgebracht wurden". Gerügt wird darin auch die linke "Tageszeitung", weil sie in einem Artikel über angebliche rassistische Äußerungen der libanesischen Familie gegenüber den Schwarzafrikanern im Flüchtlingsheim berichtet hatte.
Merke: Wer einmal als Opfer erkannt ist, darf nicht mehr kritisiert werden. Umgekehrt verkündete zum Beispiel das Nachrichtenmagazin "Focus" zwischenzeitlich: "Kobra-3D hat ermittelt". Mit Hilfe einer Computersimulation habe sich nachweisen lassen, daß das Feuer tatsächlich im ersten Stock ausgebrochen sei, daran hegten Experten "keinen Zweifel". Mithin habe sich der Verdacht gegen den beschuldigten Libanesen erhärtet.
Doch die Zweifel an der von der Staatsanwaltschaft favorisierten Tatversion wurden lauter, je länger die Ermittlungen andauerten. Das Lübecker Jugendgericht selbst faßte die Einwände gegen die Täterschaft Eids schließlich zusammen, als es am 2. Juli der Haftbeschwerde der Verteidigerin recht gab. Die Jugendrichter verneinten einen dringenden Tatverdacht und setzten den Libanesen auf freien Fuß. Ein plausibles Motiv sei bei ihm nicht gefunden worden, so hielten sie fest, der Verdacht auf Feindschaften zwischen den verschiedenen Flüchtlingsgruppen habe sich nicht erhärten lassen.
Auch für das vermeintlich offenbarte Täterwissen - sie hätten Benzin an eine Tür gekippt und angezündet, so habe Safwan erklärt, und danach sei es brennend die Treppe hinuntergelaufen - fanden die Richter keine zwingenden Belege. Nach wie vor bestünden Zweifel über Ort und Zeitpunkt des Brandausbruchs. Dennoch bewerteten sie wenig später die Verdachtsmomente als "hinreichend", das Hauptverfahren wird eröffnet. Längst schon galt die Spur gegen die Grevesmühlener Jugendlichen bei den Ermittlern als "komplett abgearbeitet", wie Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz bereits am 22. April in einem Interview betonte.
Nicht die Staatsanwälte, sondern vor allem einzelne Journalisten fragten trotzdem hartnäckig auch in diese Richtung weiter. Das Alibi der Ostdeutschen, die in der Brandnacht um 3.15 Uhr von einer Polizeistreife kontrolliert worden waren, geriet ins Wanken. Zwar ging der Brand-Notruf bei der Feuerwehr gegen 3.42 Uhr ein, doch Gutachter schließen nicht aus, daß dem Ausbruch des Feuers ein längerer Schwelbrand vorausgegangen sein könnte.
Verdacht hatten in der Brandnacht auch frische Versengungen in den Gesichtern von drei der Mecklenburger erregt. Bei den Vernehmungen boten sie diverse Erklärungen dafür an: Rene B. will beim Abzapfen von Benzin aus einem Mofatank mit einem Feuerzeug versehentlich eine Stichflamme erzeugt haben, ein anderer den Hund einer Nachbarin mit Haarspray eingesprüht und angezündet haben, vier Tage vor der Katastrophe in Lübeck. Dirk T. sagt, er habe sich beim Anfeuern seines Ofens verbrannt. Überprüft hatten die Ermittler die Angaben erst Monate später, nachdem in Fernseh- und Presseberichten die Ungereimtheiten noch einmal dokumentiert, an die frischen Brandspuren der jungen Männer erinnert worden war. Abgesehen von einer Anzeige wegen Tierquälerei zeitigten die neuerlichen Befragungen bislang keine Ergebnisse.
Für Ermittlungsdruck hatten nicht die staatlichen Stellen, sondern Medien und Bürgerinitiativen gesorgt, die den amtlichen Ermittlern mißtrauen. "Einseitig" nennt die Anwältin des Libanesen Gabriele Heinecke die Nachforschungen der Staatsanwaltschaft. Neben dem Juristenstreit setzte sie bislang auf eine offensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zugunsten ihres Mandanten.
Im April rief sie eine "Internationale Unabhängige Kommission" ins Leben, der Rechtsanwälte aus fünf Ländern sowie die bekannte Naziverfolgerin Beate Klarsfeld angehören; sie haben sich vorgenommen, den Prozeß kritisch zu beobachten.Nach der Haftentlassung von Safwan durften Journalisten den Libanesen im Kreise seiner Familie besuchen und vom ordentlichen, harmonischen Familienleben der Eids im neuen Reihenhaus mit Garten berichten.
Auf vielen Häuserwänden in Großstädten findet man derzeit die aufgesprühte Parole: "Freiheit für Safwan". Die erscheint vielen in naher Zukunft gar nicht so unwahrscheinlich. In weite Ferne gerückt scheint dagegen die Chance, der Wahrheit über den verheerenden Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim doch noch nahezukommen.
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