Bischof Kohlwage ist Vorsitzender der Leitung der Nordelbischen Kirche
Herr Bischof Kohlwage, können wir nun wieder zur Tagesordnung übergehen, nachdem für die Brandstiftung anscheinend keine Deutschen, keine Neonazis verantwortlich sind?
Kohlwage: Nein. Die Frage bleibt, wie wir uns zu den Fremden verhalten, die unter uns leben. Freilich - und das ist in der Berichterstattung untergegangen - viele Lübecker waren und sind mit den Asylbewerbern verbunden. Das betroffene Asylbewerberheim wird von der Diakonie betreut. Leute aus Kirchengemeinden haben die Kinder der Flüchtlinge unterrichtet. Sportvereine haben die Jugendlichen in die Mannschaften aufgenommen, und die Trainer haben mit ihnen trainiert. Die insgesamt neun Asylbewerberheime, die die Diakonie betreut, waren übrigens nie Ziel von ausländerfeindlichen Übergriffen. Und die Nachbarn haben nie von einer Wertminderung ihrer Häuser geredet.
Welchen Anstoß könnte der Lübecker Brand den Politikern geben?
Kohlwage: Die Familie, die es am härtesten getroffen hat, lebt schon mehrere Jahre hier. Solche sogenannten "Altfälle" müssen dringend geregelt werden. Das heißt, Leute, die vor dem Asylkompromiß von 1993 ihren Antrag gestellt haben und schon lange hier leben und arbeiten, sollten bleiben dürfen.
Christen wissen aus der Bibel, daß diese Welt unerlöst ist, daß das Böse zu ihr gehört. Was bedeutet diese Einsicht vor dem Hintergrund der Brandkatastrophe?
Kohlwage: Natürlich gibt es noch viel schlimmere Gewalt. Aber darüber zu reden ist in diesem Zusammenhang unangemessen. Wir dürfen uns in der unerlösten Welt nicht untätig einrichten. Ich sehe in dem Geschehen von Lübeck den Ruf, daß sich eine Stadt noch intensiver um diese Menschen kümmert. Und daß die Ermüdung, die sich in der Asyldiskussion breitgemacht hat, weicht.
Sie haben zweimal, 1994 und 1995, der EKD-Synode die Mängel des geltenden Asylrechts dargelegt. Die Reaktion der Politiker darauf war sehr gering. Hoffen Sie, daß sich das nun ändert?
Kohlwage: Ich denke schon, daß man die geforderte Regelung der sogenannten "Altfälle" nicht mehr so einfach vom Tisch wischen kann. Insgesamt wird die Diskussion um Flucht und Asyl einen neuen Anstoß bekommen, möglicherweise mit dem Ergebnis, daß die kirchlichen Aussagen zur Asylpolitik sorgfältig beachtet werden.
Die Fragen stellte Jürgen Wandel
26. Januar 1995
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