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Fri Sep  4 00:26:32 1998
 

Ein Jahr danach - der rassistische Brandanschlag von Lübeck

“Wie Opfer zu Täter gemacht werden” / Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter mischen sich ein


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Am 11. Januar fand in Erfurt unter dem Motto “Ein Jahr danach - der rassistische Brandanschlag von Lübeck” eine Veranstaltung von mehreren Gewerkschaftsgliederungen der Einzelgewerkschaften und des DGB statt.

Kolleginnen und Kollegen der Projektgruppe Antinazismus der IG Medien, der HBV Landesbezirk Thüringen, IG Medien LBZ Südost und Bezirk Erfurt, dem DGB bwt, der DGB Jugend /ran e.V. , unterstützt durch weitere gewerkschaftliche Initiativen und Gliederungen taten sich zusammen, um sich in den sogenannten “Fall Lübeck” einzumischen.

International statt “Standort Deutschland”

Als der gewerkschaftliche Ausgangspunkt der Kolleginnen und Kollegen wurde die internationale Interessenseinheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten in den Mittelpunkt gestellt und nicht “irgendwelche angeblich gemeinsamen Interessen mit den Unternehmern des 'eigenen' Landes oder der 'eigenen' Nation”, wie mit der Parole “Standort Deutschland sichern” versucht wird.

Ein weiterer Grund für das Einmischen und Eingreifen in den “Fall Lübeck” aber auch gegen den alltäglichen Rassismus, ist für die VeranstalterInnen das mehr oder wenige Nicht-Verhalten des DGB und der Einzelgewerkschaften - von wenigen Ausnahmen abgesehen - zu Rassismus und insbesondere zum rassistischen Brandanschlag vom 18. Januar 1996 bei dem 10 Flüchtlinge ermordet und 38 teils schwer verletzt wurden.

So wurde in der Einleitung der Veranstaltung klar ausgedrückt, daß in Lübeck der bisher mörderischste Brandanschlag seit 1945 verübt wurde und daß darüber hinaus dies mit einem der größten Skandale der deutschen Justiz nach 1945 zusammenfällt. Denn die Ermittlungen gegen Safwan Eid, selbst Opfer des Brandanschlages, und der gegen ihn eröffnete Prozeß sind gekennzeichnet von einem unbedingten Verurteilungswillen, um von den Grevesmühlener Nazis , die am Tatort gesehen wurden, abzulenken, um letztendlich vor allem das “deutsche Ansehen in der Welt” in Schutz zu nehmen.

Auch auf die weiterhin drohende Abschiebung der Opfer des Brandanschlages wurde hingewiesen, und es wurde vor allem aufgezeigt, welche Ausmaße bereits die deutsche Abschiebepolitik annimmt und welche Konsequenzen daraus entstehen, daß jedes Jahr über 30.000 Menschen abgeschoben werden “was bedeutet, daß jede Stunde des Jahres etwa 4 Menschen in den bewußt miteinkalkulierten Tod geschickt werden; in Länder, in denen sie sogleich bei der Ankunft in Gefängnissen, Folterzentren oder auf immer 'Verschwinden'; in Länder, in denen Hunger und Kriege herrschen.”

Der Einladung der VeranstalterInnen folgten etwa 100 Kolleginnen und Kollegen, die zu Beginn Gabriele Heinecke, die Anwältin von Safwan Eid, hören und sich so aus erster Hand über den Prozeß informieren konnten.

Gabriele Heinecke sagte später in einem mit einem Mitarbeiter der Projektgruppe Antinazismus der IG Medien geführten Interview zum Prozeß gegen Safwan Eid: “Der Prozeß zeichnet sich natürlich dadurch aus, daß zunächst dringend Tatverdächtige - mit Motiv und Sengspuren versehen - festgenommen werden und übereilt wieder freigelassen werden und daß dann ein Flüchtling selbst der Tat bezichtigt wird.”

Sie zeigt auf, “daß es ein Aufatmen gab nach der Inhaftierung Safwan Eid und versucht wurde, die ,die gleich nach rechts geschaut hatten, als politisch etwas beschränkt und grundlos Vorein-genommene darzustellen. Da war ein gewisser National-Konsens spürbar.”

Auf den alltäglichen Rassismus in diesem Land eingehend sagt sie: “Es gibt inzwischen täglich gewalttätige Übergriffe gegen `andersartige' Menschen, ob sie nun Ausländer genannt werden oder Behinderte. Da wird geschlagen, gestochen, geschossen und angezündet. Da sollte man sich nicht mehr in Geduld üben, da sollte man etwas dagegen tun.”

“Medien hetzen - Nazis morden - Medien vertuschen”

Der Kollege von der Projektgruppe Antinazismus der IG Medien stellte die Arbeits- und Diskussions-ergebnisse über die “Methoden und Funktion deutscher Massenmedien im Prozeß des gesellschaftlichen Rechtsrucks am Beispiel des Lübecker Brandanschlages” vor.

Es zeigte sich, wie die Mehrheit deutscher Medien aufatmete, als Safwan zum vermeintlichen Täter gestempelt, als das Opfer zum Täter gemacht wurde. Und es mehr oder weniger gleichlautend hieß: “Lübeck fürchtet um seinen Ruf”, oder wie es Heide Simonis auf den Punkt bringt: “Die Lübecker tun mir fast genauso leid wie die Opfer.”

Auch die nicht seltenen Übereinstimmungen , bis zur gleichen Wortwahl zwischen Nazi-Blättern und ehemals liberalen Blättern, war für viele Kolleginnen und Kollegen erschreckend.

Besonders interessant war, wie am Beispiel der Berichterstattung zum Prozeß in Lübeck der Schleier der scheinbaren Objektivität, bei vielen Medien fiel wie eindeutig für die Anklage Stellung bezogen wurde, wie die überlebenden Flüchtlinge verleumdet, wie die beiden Verteidigerinnen Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter angegriffen wurden. Und nur selten und wenige Zeitungen versuchten, wirklich zu informieren und veröffentlichten auch die Stellungnahmen der Flüchtlinge, der Verteidigung oder auch der Internationalen Unabhängigen Kommission.

Man mußte unwillkürlich zu der Einschätzung kommen, daß hier jemand verurteilt werden soll, der selbst Opfer des Brandanschlages war, kostet es was es wolle, und daß gerade die Medien eine Verantwortung dafür tragen, daß diese Kampagne gegen Safwan, gegen seine Verteidigung, gegen alle Fakten und damit für die nazistischen Täter auch in weiten Teilen der Bevölkerung ihre Wirkung keineswegs verfehlt. Und man kann bereits sagen, daß falls Safwan freigesprochen oder das Verfahren nach einem Jahr eingestellt wird, wohl fast jeder auf die Frage “Wer hat den in Lübeck das Haus angezündet?” antworten wird “Es war einer aus dem Haus, ein Libanese......”

Lübeck ist kein Einzelfall

Daß Lübeck kein Einzelfall ist, wo die Opfer zu Täter gemacht werden, zeigt neben vielen anderen Beispielen auch die Geschichte von Ibrahim Mohammed aus Illmenau.

Ibrahim und seine Familie wurden am 2 Januar 1996 im McDonald's Restaurant in Illmenau von einer Gruppe Nazis angegriffen. Während er sich selbst, seine Frau und seine zwei Kinder vor den Angriffen verteidigte, verletzte er einen der Angreifer schwer, einen andern leicht. Obwohl er angegriffen und auch verletzt wurde, verurteilte das Gericht in Meiningen, die offen-sichtliche Notwehr nicht beachtend, Ibrahim zu 3 Jahren und 3 Monaten Haft.

Seine Frau, eine Kollegin der HBV und ein Prozeß-beobachter berichteten vom Angriff und von dem unsäglichen und rassistischen Urteil gegen Ibrahim.

Für viele Kolleginnen und Kollegen wurde die Realität in diesem Land vor Augen geführt. Und es wurde klar, daß man sich als Mitglied von Gewerkschaften bei Rassismus nicht zurücklehnen kann, sondern auch hier entsprechend dem eigentlichen gewerkschaftlichen Grund-verständnis von Solidarität, demokratischem - anti-rassistischem Verständnis eingreifen muß. “Es wäre gut, wenn die Gewerkschafter diesen Prozeß beobachten und die Öffentlichkeit von ihren Eindrücken unterrichten” so Gabriele Heinecke.

Die Veranstaltung war ein Erfolg, auch in bezug auf die Zusammenarbeit von IG Medien und HBV wie dem DGB.

ein Mitarbeiter der Projektgruppe Antinazismus der IG Medien


V.i.S.d.P. und Kontakt:
Arbeitsgruppe Antinazismus
Bezirksbüro der IG Medien
Hafenstraße 33
66111 Saarbrücken


zuletzt geändert am: 03-09-98