Karlsruhe - Einer der spektakulärsten und rätselhaftesten Fälle der deutschen Justizgeschichte wird neu aufgerollt. Der Prozeß um die verheerende Brandkatastrophe im Asylbewerberheim an der Lübecker Hafenstraße muß neu verhandelt werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) gab am Freitag überraschend der Revision statt, hob den Freispruch für den Libanesen Safwan Eid auf und überwies das Verfahren zur Neuverhandlung nunmehr an das Landgericht Kiel. Bei dem Feuer am 18. Januar 1996 waren zehn Menschen getötet und 38 verletzt worden. Die als Nebenkläger auftretende Familie El-Omari hatte Revision gegen den Freispruch aus Mangel an Beweisen beantragt, den das Lübecker Landgericht am 30. Juni 1997 erlassen hatte.
Safwan Eid bekräftigte nach der BGH-Entscheidung seine Unschuld. Er erwarte den Prozeß, damit er das "zum zweitenmal beweisen" könne. Wenn es nach ihm ginge, könne das Verfahren "schon morgen" beginnen. Das wird nichts werden: Mit einem Prozeßbeginn wird nicht mehr in diesem Jahr gerechnet.
Der BGH begründete seine Entscheidung (Az.: 3 StR 78/98) so: Das Landgericht Lübeck hätte die Tonbandprotokolle von sechs abgehörten Gesprächen berücksichtigen müssen, die Safwan Eid im Besucherraum des Gefängnisses mit seinem Vater und zwei Brüdern geführt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte diese Gespräche abgehört und aufgezeichnet; das Landgericht hatte die Abhöraktion als unrechtmäßig verworfen und die Protokolle nicht als Beweismittel zugelassen. Der BGH wandte sich gegen die Ansicht des Lübecker Landgerichts, wonach die Besucherzelle eine Wohnung und deshalb gegen Abhörmaßnahmen geschützt gewesen sei.
Aus den Abhörprotokollen hätten sich Anhaltspunkte für Eids Schuld ergeben können, urteilte der BGH, und widersprach damit sogar der Bundesanwaltschaft, die die Aussagen für so unklar gehalten hatte, daß darauf eine Verurteilung von Eid nicht gestützt werden könne. Die Übersetzungen der auf arabisch geführten Gespräche sind allerdings umstritten. Im neuen Verfahren wird nun ein Gutachter die Übersetzungen bewerten müssen.
Das Landgericht, so der BGH, habe über die Protokolle hinaus gewichtige, den Angeklagten belastende Umstände festgestellt. Erstens soll Eid nach dem Brand zu einem Rettungssanitäter gesagt haben: "Wir waren's." An der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen hatte das Landgericht keine Zweifel. Zweitens warf Eid nach der Fahrt ins Krankenhaus ohne nachvollziehbare Gründe seinen Kaftan in einen Container. Drittens wurde das Feuer innerhalb des Gebäudes gelegt, und ein leerer Benzinkanister wurde anschließend in der Wohnung von Eids Familie im selben Haus gefunden. Die Lübecker Richter gingen auch davon aus, daß die Täter unter den Bewohnern des Gebäudes an der Hafenstraße 52 zu suchen seien. Bewerte man diese Indizien zusammen mit den Gesprächen, dann lasse sich eine Beteiligung Eids jedenfalls nicht ausschließen, so der BGH.
Die Verteidigerinnen von Eid, Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter, vertraten die Ansicht, daß auch ein neuer Prozeß nur zum Freispruch ihres Mandanten führen könne. Entgegen der Behauptung der Revision sei der Inhalt der Abhörprotokolle eindeutig nicht geeignet, Eid zu belasten.
Mit Genugtuung hat die Lübecker Staatsanwaltschaft, die selbst auf eine Revision verzichtet hatte, die BGH-Entscheidung aufgenommen. "Wir hatten keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abhöraktion", sagte Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz. (HA)
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