Kieler Nachrichten vom 06.01.97
Lübeck (Kad) Im Hafenstraßenprozeß vor dem Lübecker Landgericht verdichten sich weiter die Hinweise, wonach das Feuer im Asylbewerberheim am 18. Januar vergangenen Jahres im ersten Stock ausgebrochen ist. Zwei ehemalige Hausbewohner sagten gestern aus, sie hätten bereits kurz nach Entdeckung des Brandes Rauch und Flammen im ersten beziehungsweise zweiten Obergeschoß des Asylbewerberheims wahrgenommen. Dies schwächt die Position der Verteidigung des angeklagten Libanesen Safwan Eid, die von einem Anschlag auf den hölzernen Vorbau des Hauses ausgeht.
Zum Beginn des 28. Verhandlungstages tritt ein zehnjähriger Junge in den Zeugenstand. Bei seiner Vernehmung lebt der Vorsitzende Jugendrichter Rolf Wilcken merklich auf. Auf humorvolle, behutsame Art und Weise macht er den kleinen Zeugen mit Personen und deren Funktion bekannt. Mit Blick auf die Staatsanwälte sagt er: "Die passen auf, daß wir alles richtig machen." Dann der Schwenk zu den beiden Verteidigerinnen: "Die passen noch mehr auf, daß wir alles richtig machen."
In der Folge erweist sich der mit Abstand jüngste Zeuge des Verfahrens als überaus gut vorbereitet. Als die Rede auf ein Fenster im Vorbau kommt, in das nach Version der Verteidigung ein Brandsatz hereingeworfen wurde, erklärt er eilig: "Das Fenster ist auch aufgegangen, wenn von außen ein Ball dagegen flog. Das war nicht fest." Die Freude der Verteidigung über diese aus ihrer Sicht positive Darstellung währte jedoch nicht lange. Bereits kurze Zeit später erklärt der Zeuge, daß er neben der Tür zur Wohnung seiner Familie im zweiten Obergeschoß Rauch und "ein bißchen Feuer" gesehen habe. Und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem die Feuerwehr noch nicht am Ort des Geschehens war. Dies spricht für einen Brandausbruch im ersten Stock, den die Staatsanwaltschaft für wahrscheinlich hält.
Nach rund einer Stunde darf der Junge den Gerichtssaal verlassen. Sein Zeugengeld, verrät er grinsend, wolle er bei McDonald's verfuttern.
Auch der Zeuge Khalil El Omari, der mit seiner Familie im zweiten Stock des Hauses gewohnt hat, spricht von Feuer, das sich aus Fenstern des ersten Obergeschosses nach oben fraß. Nach seiner Beobachtung seien noch mindestens 15 Minuten bis zum Eintreffen der Feuerwehr vergangen. Später berichtet der gelernte Tischler von einem Treffen mit dem Vater des Angeklagten, Marwan Eid. Dieser habe von einer Bombe gesprochen, die gegen 2.30 Uhr auf das Haus gworfen wordne sei. Diese Zeitangabe habe ihn gewundert, weil er im Fernsehen etwas von 3.30 Uhr als Zeitpunkt des Brandausbruchs gehört habe. Darum habe er nachgefragt. Dabei habe ihm Marwan Eid nochmals bestätigt: Es war 2.30 Uhr, als eine Bombe geworfen wurde. Daraufhin habe Frau El Omari geschrien: "Wenn es so war, warum hast Du uns nicht geweckt. Wir wären alle gerettet worden."
Fast vier Stunden dauert die Befragung des Zeugen. Dabei fallen zwei Dinge besonders auf. Während sich die Staatsanwaltschaft an jedes Detail klammert und damit offenbahrt, auf welch dünnem Eis sie ihre Anklage gebaut hat, bleibt die Verteidigung bei ihrer Verunsicherungstrategie. Soll heißen: Dolmetscher werden mit grammatisch komplizierten Bandwurmfragen überhäuft. Auf diese Weise bleiben wichtige Details im Dickicht der Übersetzungen hängen. Die Antworten des Zeugen wirken häufig entsprechend vage.
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