Lübeck - Gern vergleicht Staatsanwalt Michael Böckenhauer den Hafenstraßenprozeß vor dem Lübecker Landgericht mit einem Marathonlauf. Trifft dieses Bild zu, dann haben er und sein Kollege Axel Bieler gestern einen Zwischenspurt eingelegt. Mehr als fünf Stunden befragten sie die ehemalige Bewohnerin des Asylbewerberheims Ottodzo Dope Agonglovi nach ihren Beobachtungen in der Brandnacht sowie nach Motiven für eine Brandstiftung. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß der angeklagte Libanese Safwan Eid gemeinsam mit noch unbekannten Mittätern das Feuer im ersten Obergeschoß gelegt hat.
Dauer und Intensität der Befragung der aus Afrika stammenden Frau erklären sich insbesondere mit ihrer Aussage bei der Polizei. Dort hat die 37jährige gelernte Buchhalterin unter anderem Details zu Protokoll gegeben, die haargenau ins Bild der Ankläger passen: Sie habe etwa in Höhe der Tür ihrer Nachbarin ein kleines Feuer gesehen. Es waren Flammen, die "zirka einen halben Meter hoch gewesen sein dürften".
Seit dieser Aussage ist fast ein Jahr vergangen. Ein Jahr, in dem sich Frau Agonglovi intensivster Betreuung durch Anwälte und Angehörige linker Unterstützergruppen erfreuen durfte. Ein Jahr auch, um Gesagtes zu überdenken. Und so verwunderte es gestern Prozeßbeobachter kaum, daß Frau Agonglovi ihre seinerzeit gemachten Ausführungen in entscheidenden Punkten zurücknahm. Ein kleines Feuer im Flur? Nein, das habe sie so nicht gesagt. Sie habe nur von "Feuerschein" gesprochen. Dieser sei vermutlich durch das Fenster zum Treppenhaus sichtbar gewesen. Im übrigen sei sie kurzsichtig und habe in der Brandnacht ihre Brille nicht dabei gehabt.
Als die Staatsanwaltschaft nachhakt, treten die Nebenklagevertreter in Aktion. Der französische Dolmetscher wird aufgefordert, der Zeugin den Unterschied zwischen Feuer und Feuerschein zu erklären. Der Mann müht sich redlich, aber vergebens. Nach fünfminütiger Debatte greift Richter Wilcken ein: "Wir wollen hier kein Kolloquium."
Sodann erzählt Frau Agonglovi sehr detailgenau von der Flucht ihres angeblichen Sohnes Ray Sossou (14) aus dem brennenden Haus. Auch das verwundert. Denn bei ihrer polizeilichen Vernehmung hatte sie noch erklärt, Ray habe nicht erzählt, wie er den Brand bemerkt habe. Ob diese neue Version mit einer möglichen Tatbeteiligung von Ray Sossou (und einem damit notwendigen Alibi) in Verbindung steht, kommt nicht zur Sprache.
Nach dieser Episode gibt Michael Böckenhauer seine bis dahin geübte Zurückhaltung für einen kurzen Moment auf. In einem Nebensatz macht er deutlich, daß er erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Ausführungen hat. Richter Wilcken ermahnt das Publikum zur Ruhe.
Zu Beginn der Verhandlung hatte die Verteidigung eine Erklärung verlesen, in der sie schwere Kritik an der Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft übte. Beide hätten es unterlassen, einen defekten Briefkasten, der im Bereich des hölzernen Vorbaus angebracht war, auf einen möglichen Brandanschlag hin zu untersuchen. Die Staatsanwaltschaft kündigte für den nächsten Verhandlungstag eine Stellungnahme an. KAI-UWE DREWS
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