Kieler Nachrichten, 24.04.97
Lübeck (KN/ap) Im Lübecker Brandprozeß deutet vieles auf einen Freispruch des Angeklagten Safwan Eid hin. Die bisher vorgelegten Beweise reichen nach Ansicht des Gerichts nicht für eine Verurteilung des Liba nesen aus. Die Beweisaufnahme habe zwar ergeben, daß es im Haus Streit gab. Ob dies aber ein Motiv für eine Brandstiftung sei, erscheine "sehr, sehr fragwürdig", sagte der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken gestern in einer vorläufigen Bewertung der vergangenen 52 Prozeßtage. Seit September muß sich der 21jährige Eid vor der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts wegen besonders schwerer Brandstiftung verantworten.
Bei dem Brand in dem Lübecker Flüchtlingsheim am 18. Januar des vergangenen Jahres waren insgesamt zehn Menschen ums Leben gekommen. Als Motiv für die Tat hatte die Staatsanwaltschaft Rache nach einem Streit mit Hausbewohnern angenommen. Über 100 Zeugen und zahlreiche Sachverständige sind bisher schon gehört worden. Weitere 50 unerledigte Beweisanträge liegen noch vor.
Das Gericht habe festgestellt, daß es einen Brandherd im Flurbereich des ersten Stockwerks gab, sagte gestern Richter Rolf Wilcken. Darin seien sich inzwischen alle ernstzunehmenden Sachverständigen einig. Unklar werde aber weiter bleiben, ob Brandbeschleuniger verwendet wurden. Auch der Zeitpunkt des Brandausbruchs könne kaum eingegrenzt werden. Keiner der Sachverständigen habe zudem überzeugend erklärt, wie und wann der Brand im Vorbau entstanden sei. Die Verteidigung von Safwan Eid geht aufgrund des Brandes im Vorbau von einem Anschlag von außen aus.
Ausdrücklich betonte Rolf Wilcken, das Gericht sei nicht gehalten, über Schuld oder Unschuld anderer zu befinden. Die Verteidigung des Angeklagten hatte immer wieder vier Männer aus dem mecklenburgischen Grevesmühlen ins Spiel gebracht, die der rechtsradikalen Szene zugerechnet werden und von denen drei in der Brandnacht am Tatort waren. Sie waren zunächst als Verdächtige festgenommen, aufgrund von Alibis jedoch wieder freigelassen worden.
Eine schlüssige Erklärung für die tiefen Brandlöcher im Eingangsbereich des Vorbaus, die nach Auffassung der Verteidigung auf einen Anschlag von außen hindeuten, gibt es für den Kammervorsitzenden nicht. Doch gegen diese Theorie, machte Wilcken klar, sprächen die Gutachten, nach denen sowohl die Erdgeschoß-Fenster als auch die Haustür vor dem Brand fest verschlossen waren. Der ursprüngliche Zustand der Fensterscheiben lasse sich nicht rekonstruieren.
Ungeklärt bleibe auch das Schicksal von Sylvio Amoussou. Die verkohlte Leiche des 27jährigen Mannes aus Benin war nach dem Brand im hölzernen Vorbau gefunden worden. Als wahrscheinlichste Todesursache hatten Rechtsmediziner einen Hitzeschock vermutet. Welche Rolle der Afrikaner in der Brandnacht gespielt hat, ob er vom ersten Stock aus möglicherweise brennend die Treppe hinuntergelaufen sei, bleibe reine Spekulation, sagte der Kammervorsitzende.
Zugleich mahnte Wilcken die Prozeßbeteiligten zur Verfahrensökonomie: Ob die rund 50 noch unerledigten Beweisanträge von Staatsanwaltschaft und Verteidigung tatsächlich "Relevanz entfalten könnten", solle man "überdenken". Während die Verteidigerinnen den Saal mit federnden Schritten verließen, packten die Staatsanwälte ihre Akten stumm in den Schrank hinter dem Richtertisch. Daß ihre Anklage gegen Eid zusammengebrochen ist, wissen sie nicht erst seit gestern.
CH. KRÜMPELMANN
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